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Ukraine: Wiederholung der Stichwahl

Die Entscheidung um die neue ukrainische Präsidentschaft fällt am 26. Dezember. Der beurlaubte Ministerpräsident Viktor Janukowitsch und Oppositionsführer Viktor Juschtschenko treten schon zum zweiten Mal in der Stichwahl gegeneinander an.

Die Wiederholung erfolgt auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs der Ukraine. Knapp 38 Millionen Menschen sind erneut zur Stimmabgabe aufgerufen.

Auf Grund zahlreicher Wahlfälschungen hat das Gericht die erste Stichwahl für ungültig erklärt und eine Neuauflage der Abstimmung entschieden. Die Zentrale Wahlkommission hatte zuvor Janukowitsch zum Sieger erklärt, mit drei Prozentpunkten Vorsprung. Nachwahlbefragungen hatten hingegen eine deutliche Führung Juschtschenkos ergeben. Internationale Wahlbeobachter sprachen von starken Unregelmäßigkeiten bei der Wahl.

Die Neuauflage der Stichwahl findet nun unter veränderten Bedingungen statt: Vor knapp zwei Wochen haben sich Opposition und Regierungsseite im Parlament auf einen Kompromiss geeinigt, der eine Änderung des Wahlgesetzes als auch der Verfassung vorsieht. Im Rahmen dieser Änderungen wird die Zahl der Briefwahlstimmen stark begrenzt und Wählerlisten dürfen am Wahltag nicht mehr von Behörden verändert werden. Das soll Manipulationen erschweren. Außerdem werden die Wahlleitung und die regionalen Wahlkommissionen paritätisch besetzt.

Überdies soll ein Großaufgebot an internationalen Wahlbeobachtern eine freie und faire Präsidentenwahl gewährleisten: Allein die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) schickt rund 1.000 Experten und hat ihre Mission damit fast verdoppelt. Laut der Wahlleitung in Kiew haben sich bisher insgesamt 8.300 ausländische Beobachter angesagt, die die 33.000 Wahlbüros am Tag der Abstimmung überprüfen wollen.

Juschtschenko, Kopf des Wahlbündnisses „Unsere Ukraine“, gilt als Favorit für das höchste Amt im Staat. Schon im ersten Wahlgang am 31. Oktober hatte er auch laut den offiziellen Resultaten die meisten Stimmen erhalten, mit einem knappen Vorsprung von einem halben Prozentpunkt vor Janukowitsch, obwohl internationale Beobachter die Wahl als nicht demokratischen Standards entsprechend kritisiert hatten. Nach der ersten Stichwahl am 21. November waren Tausende seiner Anhänger mehr als zwei Wochen lang auf die Straße gegangen, um gegen vermutete Wahlfälschungen zu protestieren.

Seit der ersten Auflage des entscheidenden Durchgangs hat sich auch eine weitere große Frage des Wahlkampfes geklärt: Der Grund für Juschtschenkos plötzliche und rätselhafte Erkrankung Anfang September. Vor einer Woche gaben die Ärzte des Wiener Privatspitals Rudolfinerhaus bekannt, was Oppositionsanhänger schon länger vermutet hatten: Der Oppositionsführer ist mit Dioxin vergiftet worden. Dieser beschuldigt nun Regierung und Geheimdienst, einen Mordanschlag auf ihn verübt zu haben. Die unkrainischen Behörden weisen die Vorwürfe zurück.

Juschtschenko: Favorit im Rennen um das ukrainische Präsidentenamt

Der ukrainische Oppositionsführer Viktor Juschtschenko gilt bei der Wiederholung der Stichwahl um das Präsidentenamt am 26. Dezember als klarer Favorit. Hunderttausende sind für ihn in den vergangenen drei Wochen auf die Straße gegangen, um – erfolgreich – gegen Manipulationen bei der ersten Auflage des entscheidenden Wahlgangs zu protestieren. Ein Ereignis, das zur „Orangenen Revolution“ erklärt wurde. Orange ist die Farbe Juschtschenkos im Wahlkampf.

Der fünffache Familienvater ist der Hoffnungsträger all jener, die sich das Ende der Oligarchen-Herrschaft und eine Demokratisierung der Ukraine wünschen. Er hat den Ruf, ein aufrichtiger Reformer zu sein. In den 1990er Jahren war er zunächst Chef der ukrainischen Nationalbank, anschließend für rund eineinhalb Jahre Ministerpräsident unter dem noch amtierenden ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma. In dieser Funktion leitete er durch seine Politik den ersten Wirtschaftsaufschwung seit der Unabhängigkeit des Landes ein und bezahlte ausstehende Löhne und Pensionen.

Juschtschenko steht für eine westliche Ausrichtung der Ukraine, hin zu NATO und der Europäischen Union. Vor zehn Tagen hat er die EU in einem Interview mit der Londoner Tageszeitung „Financial Times“ aufgefordert, der Ukraine eine Beitrittsperspektive zu eröffnen und einen Vier-Punkte-Plan zur Verwirklichung dieses Zieles vorgeschlagen.

Den Wahlkampf um das Präsidentenamt führt er als entstellter Mann: Das Gesicht des einst gut aussehenden 50-Jährigen ist aufgedunsen, grau und mit Pusteln übersät. Seit Anfang September musste er im Wiener Rudolfinerhaus drei Mal auf Grund seiner plötzlichen, schweren Erkrankung behandelt werden. Den Auslöser gaben seine Ärzte im Wiener Rudolfinerhaus vor gut einer Woche bekannt: Juschtschenko wurde mit Dioxin vergiftet. Stunden vor dem Ausbruch seiner Krankheit hatte er mit dem Chef des ukrainischen Geheimdienstes Abend gegessen. Der Oppositionsführer beschuldigt Regierung und Geheimdienst, einen Mordanschlag auf ihn verübt zu haben – die Behörden weisen die Vorwürfe zurück.

Ganz unumstritten ist der Ehemann einer US-Amerikanerin auch in den eigenen Reihen nicht. Die Staatskrise in der Ukraine beendeten er und seine Verhandlungspartner mit einem Kompromiss. Teil dieses Pakets ist eine Verfassungsänderung, die die Befugnisse des Präsidenten ab den Parlamentswahlen im Jahr 2006 stark einschränken wird. „Ich hätte so etwas nie unterschrieben“, kommentierte seine prominenteste Unterstützerin, die kämpferische Politikerin Julia Timoschenko, die Einigung und merkte leicht ironisch an, die Unterschrift Juschtschenkos zeige dessen „außerordentliche Kompromissbereitschaft“.

Janukowitsch: Der geschwächte, beurlaubte Ministerpräsident

Widerwillig stellt sich der derzeit beurlaubte Ministerpräsident Viktor Janukowitsch am 26. Dezember erneut der Stichwahl um die ukrainische Präsidentschaft. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zur Wiederholung des zweiten Wahldurchgangs sei „unter dem Druck der Straße“ gefallen, lautete sein Kommentar. Er sieht den Vorgang als „Verletzung der ukrainischen Verfassung“.

Überraschend ist diese Haltung nicht. Schließlich hatte die Zentrale Wahlkommission den 54-Jährigen nach der ersten Stichwahl am 21. November bereits zum Sieger erklärt. Nach Massenprotesten gegen zahlreiche Manipulationen zu seinen Gunsten hatte das Oberste Gericht die Wahl für ungültig erklärt und eine Wiederholung angeordnet.

Janukowitsch gibt sich auch jetzt noch siegesgewiss, geht de facto aber geschwächt ins entscheidende Rennen. Angetreten war der über 1,90 Meter große Mann als Wunschnachfolger des amtierenden ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma. Auch der russische Präsident Wladimir Putin hatte ihn offen unterstützt. Für den Wahlkampf bediente er sich des Staatsapparats und des Fernsehens, um sich den Sieg zu sichern. Nach den Vorwürfen massiver Wahlfälschungen hatte sich Kutschma aber von ihm distanziert und eine Neuauflage der gesamten Präsidentenwahl gefordert. Seit dem 7. Dezember ist der Regierungschef beurlaubt, nach Medienberichten auf eigenen Wunsch, um sich auf den Wahlkampf konzentrieren zu können.

Der aus der Stahlstadt Jenakiewo stammende Janukowitsch gilt als Kandidat der Großindustrie, der die Ukraine stärker an Russland binden will. Seine Anhänger finden sich vor allem im industriereichen, russisch-sprachigen Osten des Landes. Seine Karriere begann er als Mechaniker, später wurde er Ingenieur, Ökonom, Jurist und schließlich Gouverneur der ostukrainischen Region Donezk. Im November 2002 machte ihn Kutschma zu seinem Ministerpräsidenten. In Janukowitschs Lebenslauf finden sich allerdings auch weniger öffentlichkeitswirksame Momente: In seiner Jugend saß er zwei Mal wegen Überfällen im Gefängnis.

Für Aufsehen sorgte in der vergangenen Woche ein Artikel der Londoner Tageszeitung „Financial Times“: Janukowitsch habe zusammen mit dem Chef der Präsidialverwaltung, Viktor Medwedschuk, dafür plädiert, mit Gewalt gegen die Anhänger von Oppositionsführer Viktor Juschtschenko vorzugehen, berichtete das Blatt. Janukowitsch wies den Bericht zurück. „Wir haben nicht über einen Gewalteinsatz gesprochen, sondern lediglich über die Wiederherstellung der Ordnung“, erklärte er.

Der Opposition wirft er Wahlkampfmethoden im Stil „totalitärer Sekten“ vor. Sie versuche, mit Gewalt die Macht zu übernehmen. Nach der Stichwahl erwartet Janukowitsch Tausende seiner Anhänger in der Hauptstadt Kiew, auf der Krim hätten sich bereits 35.000 Freiwillige in Listen eingetragen. „Diese Menschen schützen ihre Rechte und die Verfassung. Ihre Bewegung ist nicht aufzuhalten.“

Ukrainische Opposition kündigt neue Großdemo an

Wenige Tage vor der Wiederholung der Präsidentenstichwahl in der Ukraine am kommenden Sonntag will die ukrainische Opposition mit einer Großkundgebung ihren Machtanspruch unterstreichen. Am Mittwoch sollen in Kiew mehrere hunderttausend Anhänger zusammenkommen, um klar zu machen, dass „die Revolution noch nicht beendet ist und die Entscheidungsschlacht erst noch stattfindet“, sagte der Oppositionsabgeordnete Wolodimir Filenko am Montag in Kiew.

Die Kundgebung solle außerdem die Regierung von neuen Wahlfälschungen abhalten, sagte der Abgeordnete Taras Stezkiw. „Es gibt Pläne zu Wahlfälschungen im ganzen Land und besonders in den Regionen, wo (Regierungskandidat) Viktor Janukowitsch besonders viele Stimmen holen will.“ Er könne nicht garantieren, dass die Kundgebungen bei neuen Fälschungen so friedlich blieben wie zuletzt, warnte Stezkiw.

Mit Spannung blickte die Ukraine auf das einzige Fernsehduell zwischen Janukowitsch und Oppositionsführer Viktor Juschtschenko, das am Montagabend um 18.00 Uhr MEZ beginnen sollte. Nach den wochenlangen erbitterten Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition wurde eine hitzige Debatte erwartet.

Brandanschlag auf Juschtschenko-Wahlkampfbüro in der Ostukraine

Wenige Tage vor der Wiederholung der Präsidentenstichwahl in der Ukraine ist im Osten des Landes ein Brandanschlag auf ein Büro von Oppositionsführer Viktor Juschtschenko verübt worden. Nach Angaben des örtlichen Oppositionsvertreters Hennadi Stassjuk vom Montag setzten Unbekannte am Vorabend mit Hilfe von Molotowcocktails Juschtschenkos Wahlbüro in Marjupol in Brand. Dabei seien die Computer mit den Listen der Wahlbeobachter für kommenden Sonntag zerstört worden. Die Polizei von Marjupol bestätigte den Vorfall. Nach ihren Angaben nahmen Innenministerium und der Geheimdienst SBU Ermittlungen auf.

Der pro-russische Osten des Landes ist Hochburg von Juschtschenkos Gegner, Ministerpräsident Viktor Janukowitsch. Dessen Sieg bei der ersten Stichwahl am 21. November war nach tagelangen heftigen Protesten der Opposition gegen die massiven Manipulationen vom Obersten Gericht annulliert worden. Bei der Wiederholung der Stichwahl gilt Juschtschenko als klarer Favorit.

Chronologie des Kampfes um die Präsidentschaft in der Ukraine

Vergiftung, Wahlfälschungen, Massendemonstrationen: Der Kampf um die ukrainische Präsidentschaft war lang, unsauber, ungewiss. Mit der Wiederholung der Stichwahl am 26. Dezember findet er seinen vorläufigen Höhepunkt – und voraussichtlich sein Ende.

4. Juli: In der Ukraine fällt der Startschuss für den Präsidentschaftswahlkampf. Sowohl der amtierende Ministerpräsident Viktor Janukowitsch als auch Oppositionsführer Viktor Juschtschenko geben ihre Kandidatur bekannt.

5. September: Juschtschenko trifft sich mit dem ukrainischen Geheimdienstchef Ihor Smeschko und dessen Stellvertreter Wolodimir Satsiuk zum Abendessen. In der Nacht wird der Präsidentschaftskandidat krank.

10. September: Juschtschenko wird in kritischem Gesundheitszustand ins Wiener Privatspital Rudolfinerhaus eingeliefert. Die Ärzte diagnostizieren eine Entzündung im Magen, Dünndarm, in der Bauchspeicheldrüse und im Ohr sowie eine Leberschwellung und die Lähmung eines peripheren Gesichtsnervs. Die Krankheitsursache ist unklar. Juschtschenkos Wahlkampfmanager Olexander Sintschenko spricht von einem möglichen Vergiftungsversuch.

8. Oktober: Nach einem weiteren Spitalsaufenthalt Juschtschenkos in Wien schaltet das Rudolfinerhaus internationale Spezialisten in die Suche nach der Krankheitsursache ein. Grund ist der ungewöhnliche Krankheitsverlauf. In Kiew ermitteln inzwischen eine Untersuchungskommission des ukrainischen Parlaments und die Staatsanwaltschaft in der Sache.

23. Oktober: Rund 100.000 Menschen demonstrieren in Kiew für Juschtschenko und fordern freie und faire Wahlen. Eine Großkundgebung am darauf folgenden Tag endet mit gewaltsamen Ausschreitungen.

31. Oktober: Die Ukrainer wählen einen neuen Präsidenten. Nach dem offiziellen Endergebnis gewinnt überraschend Oppositionskandidat Juschtschenko mit rund einem halben Prozentpunkt Vorsprung. Da keiner der beiden die absolute Mehrheit erhält, wird eine Stichwahl notwendig.

21. November: Stichwahl um das Präsidentenamt zwischen Juschtschenko und Janukowitsch. Nachwahlbefragungen ergeben eine deutliche Führung des Oppositionsführers.

22. November: Die Zentrale Wahlkommission gibt den Sieg Janukowitschs mit drei Prozentpunkten Vorsprung bekannt. Putin gratuliert. Beobachter sprechen von massiven Wahlfälschungen. Juschtschenko ruft seine Anhänger zum Protest auf. Auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew demonstrieren 100.000 Menschen.

23. November: Die Demonstrationen weiten sich aus. Juschtschenko spricht im ukrainischen Abgeordnetenhaus den Amtseid des Präsidenten.

24. November: Die Wahlkommission erklärt Janukowitsch zum offiziellen Sieger. Der Oppositionsführer weigert sich, das Ergebnis anzuerkennen und ruft zum Generalstreik auf.

25. November: Der Oberste Gerichtshof untersagt die offizielle Veröffentlichung des Endergebnisses der umstrittenen Präsidentenwahl.

26. November: In Kiew treffen internationale Vermittler ein, darunter EU-Außenbeauftragter Javier Solana und Polens Staatspräsident Aleksander Kwasniewski. Juschtschenko und Janukowitsch stimmen der Bildung einer Arbeitsgruppe zur friedlichen Lösung der Krise zu. Oppositionsanhänger blockieren den Regierungssitz.

27. November: Das ukrainische Parlament spricht sich für eine Annullierung der Wahl aus. Das Votum ist rechtlich nicht verbindlich.

30. November: Das Parlament in Kiew lehnt einen Misstrauensantrag gegen Janukowitsch ab. Die Opposition unterbricht die Gespräche mit der Staatsführung.

1. Dezember: Das Parlament spricht Janukowitsch und seiner Regierung das Misstrauen aus.

3. Dezember: Der Oberste Gerichtshof erklärt die Stichwahl für ungültig und legt eine Wiederholung des zweiten Wahldurchgangs fest.

7. Dezember: Präsident Kutschma beurlaubt Janukowitsch von seinem Amt als Ministerpräsident.

8. Dezember: Im Parlament einigen sich die Vertreter beider Seiten auf einen Kompromiss zur Änderung des Wahlrechts und der Verfassung. Juschtschenko ruft seine Anhänger zum Ende der Blockade des Regierungssitzes auf.

10. Dezember: Neue Untersuchungen im Wiener Rudolfinerhaus ein.

11. Dezember: Auf einer Pressekonferenz erklären die behandelnden Ärzte im Rudolfinerhaus, Juschtschenko sei mit Dioxin vergiftet worden: „Wir schließen ab mit der Zusatzdiagnose: Verdacht auf Fremdverschulden.“ Die Staatsanwaltschaft in Kiew nimmt erneut Ermittlungen auf.

16. Dezember: Juschtschenko beschuldigt „bestimmte Vertreter der Regierung“, einen Mordanschlag auf ihn verübt zu haben. Er sei am 5. September beim Essen mit dem Geheimdienstchef vergiftet worden. Inzwischen hat auch das Parlament neue Untersuchungen in der Sache eingeleitet.

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