Ukraine: Regierungsgegner kontrollieren Kiew - Janukowitsch hat die Hauptstadt verlassen
Die sogenannten Selbstverteidigungskräfte hätten die Kontrolle über das Parlament, den Regierungssitz und die Präsidialkanzlei übernommen, sagte Andrej Parubij, der Kommandant des Protestlagers auf dem Unabhängigkeitsplatzes (Maidan). Das berichtet die Zeitung “Segodjna” am Samstag früh auf ihrer Internetseite. “Wir fordern den sofortigen Rücktritt des Präsidenten”, sagte Parubij. Janukowitsch sei in die ostukrainische Stadt Charkiw (Charkow) geflohen. “Jetzt kontrolliert der Maidan ganz Kiew”, betonte Parubij.
Die Stimmung in Kiew am Freitagabend
Zehntausende Regierungsgegner forderten auf dem Maidan weiterhin den sofortigen Rücktritt von Präsident Viktor Janukowitsch. Vor einer von Radikalen angedrohten Erstürmung der Präsidialverwaltung flog Janukowitsch am Freitagabend nach Charkiw (Charkow). Dort ist am Samstag ein Kongress der regierenden Partei der Regionen geplant. In Kiew sollte am Vormittag erneut das Parlament zusammentreten. Am Freitagabend hatte die Oberste Rada mit hohem Tempo erste Beschlüsse durchgesetzt.
Zuvor hatten Janukowitsch und Oppositionsführer ein von der EU vermitteltes Abkommen zur Lösung der Staatskrise unterzeichnet. Die Oberste Rada setzte danach umgehend erste Beschlüsse durch. So soll die Rückkehr zur Verfassung von 2004 die Machtfülle des Staatschefs erheblich beschneiden – eine Kernforderung der Opposition. Zudem brachte das Parlament ein Gesetz für eine Freilassung der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko auf den Weg. Allerdings muss Janukowitsch diese Beschlüsse noch unterzeichnen.
Janukowitsch verließ Kiew in der Nacht
Nach Medienberichten hatte Janukowitsch unter wachsendem Druck der Opposition am Freitagabend die Hauptstadt Kiew verlassen. Er sei mit einem engen Kreis Vertrauter zunächst nach Charkiw geflogen, berichtete das Internetportal der Zeitung “Serkalo Nedeli” unter Berufung auf Funktionäre. Auch ein US-Diplomat sowie andere Medien berichteten darüber und beriefen sich auf Kontakte in der Präsidialverwaltung.
In Charkiw ist am Samstag ein Kongress der regierenden Partei der Regionen geplant. Daran könnte Janukowitsch teilnehmen wollen. Der Ex-Sowjetrepublik könnte im Ernstfall eine Spaltung drohen. Die Partei hatte bereits 2004 über eine Abspaltung vom pro-europäischen Westen des Landes diskutiert.
In einer ersten Reaktion auf den Friedensschluss äußerten Kremlchef Wladimir Putin und US-Präsident Barack Obama bei einem Telefonat ihre Hoffnung auf eine rasche Stabilisierung der Lage in der Ukraine. Putin habe bei dem Gespräch in der Nacht zum Samstag betont, dass besonders die Auseinandersetzung mit der radikalen Opposition wichtig sei. “Sie hat die Konfrontation in der Ukraine an eine gefährliche Linie gerückt”, sagte Putin nach Kremlangaben.
Radikale Opposition weiterhin unzufrieden
Anhänger der radikalen Opposition hatten bereits am Freitag ihren Unmut mit der Krisenlösung zum Ausdruck gebracht. Sie fordern weiterhin den Rücktritt von Janukowitsch. Redner drohten, die Präsidialverwaltung zu stürmen und den Kampf gegen die Führung fortzusetzen, wenn Janukowitsch sich nicht dem Willen der Menschen auf dem Maidan beuge.
Zuvor hatten die Konfliktparteien unter Vermittlung auch des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier vorgezogene Präsidentenwahlen bis zum Dezember statt im März 2015 beschlossen. Zudem vereinbarten sie eine Übergangsregierung unter Beteiligung der Opposition und eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie. Nach dem Friedensplan soll nun innerhalb von zehn Tagen eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden, unter Einschluss der Opposition.
Inzwischen scheint Janukowitschs Machtbasis zu bröckeln. Ihm gehen immer mehr Abgeordnete seines Lagers verloren. Bereits gut zwei Dutzend Politiker der regierenden Partei der Regionen verließen die Fraktion. Sie hatte zuletzt 205 von 450 Sitzen. Die Partei sei auch bereit, in die Opposition zu gehen und bei der Bildung einer neuen Regierung zu helfen, sagte Abgeordneter Nestor Schufritsch.
Die Demonstrationen in der Ukraine hatten Ende November 2013 begonnen, nachdem Janukowitsch auf Druck Russlands ein historisches Abkommen mit der EU kurzfristig auf Eis gelegt hatte. Bei den Unruhen in den vergangenen Tagen waren mindestens 77 Menschen getötet worden.
(APA/Red)