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Ukraine-Krieg: Russen bereit zu Feuerpause in Mariupol bei weißer Flagge

Das Asowstahl-Werk in Mariupol: "Eine Stadt in der Stadt".
Das Asowstahl-Werk in Mariupol: "Eine Stadt in der Stadt". ©REUTERS/Alexander Ermochenko
Wenn sich die Ukrainer ergeben, eine weiße Flagge am Stahlwerk Asowstal hissen, dann will das russische Militär nach eigenen Angaben in Mariupol eine Feuerpause ausrufen und einen humanitären Korridor schaffen.
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Russland sei bereit, "jederzeit eine Waffenruhe zu verkünden", um Zivilisten aus der Fabrik zu lassen, aber auch Kämpfer, "wenn sie den Wunsch äußern, ihre Waffen niederzulegen", sagte Generaloberst Michail Misinzew vom russischen Verteidigungsministerium am Freitag.

Russen für Feuerpause bei weißer Flagge am Stahlwerk Mariupol

Dazu müssten die Ukrainer im Stahlwerk weiße Flaggen hissen. Misinzew widersprach damit der ukrainischen Vizeregierungschefin Iryna Werschtschuk, die den russischen Truppen vorgeworfen hatte, die Flucht von Zivilisten zu behindern. Seit 21. März habe es täglich Feuerpausen für Flüchtlinge gegeben, behauptete der russische Offizier. "Aus Mariupol konnten so 14..631 Zivilisten und 341 Ausländer evakuiert und 1844 ukrainische Wehrdienstleistende sicher herausgeholt werden, die sich ergeben haben."

Putin garantiere gute Behandlung der Truppen bei Kapitulation

Der russische Präsident Wladimir Putin warf Kiew vor, eine Kapitulation der ukrainischen Truppen in Mariupol zu verhindern. "Allen Soldaten der ukrainischen Streitkräfte, den Kämpfern der nationalen Bataillone und den ausländischen Söldnern, die ihre Waffen niedergelegt haben, werden das Leben, eine menschenwürdige Behandlung im Einklang mit dem Völkerrecht und eine hochwertige medizinische Versorgung garantiert", sagte Putin am Freitag laut Angaben des Kreml in einem Telefonat mit EU-Ratspräsident Charles Michel.

"Aber das Kiewer Regime erlaubt nicht, dass diese Möglichkeit genutzt wird", wurde Putin in der Erklärung des Kreml weiter zitiert. Moskau hatte am Donnerstag erklärt, die russischen Truppen hätten nunmehr die Kontrolle über die Stadt mit Ausnahme des Industriegebietes von Asowstal. Putin hatte die Abriegelung des Gebiets angeordnet.

Schwere russische Luft- und Raketenangriffe auf die Ukraine

Im täglichen Morgenbriefing hatte zuvor Igor Konaschenkow, der Sprecher des Verteidigungsministeriums, erneut von schweren russischen Luft- und Raketenangriffen auf ukrainisches Territorium berichtet. Seinen Angaben nach hat die Luftwaffe in der Nacht 58 Objekte beschossen. Raketenstreitkräfte und Artillerie hätten sogar 1285 gegnerische Objekte getroffen. In den meisten Fällen handelte es sich demnach um Truppenansammlungen, Militärkonvois oder Kommandopunkte.

Konaschenkow betonte zudem, dass auch wieder seebasierte Lenkraketen vom Typ Kalibr abgeschossen worden seien. Dies soll wohl die Einsatzbereitschaft der Schwarzmeerflotte dokumentieren. Vor einer Woche war das Flaggschiff der Flotte, der Raketenkreuzer "Moskwa", nach einem Brand gesunken. Kiew erklärte damals, das Kriegsschiff mit zwei Antischiffsraketen versenkt zu haben.

Werksgeländer von Asow-Stahl als letztes Bollwerk in Mariupol

Das weitläufige Werksgelände von Asowstahl in der zerstörten ukrainischen Hafenstadt Mariupol ist das letzte Bollwerk der ukrainischen Truppen. Russlands Präsident Wladimir Putin wies seine Armee am Donnerstag an, das Werk weiter zu belagern - so engmaschig, dass "keine Fliege mehr heraus kann".

Selenskyj: Tausende Zivilisten harren im Industriekomplex aus

Dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zufolge harren "rund tausend Zivilisten, Frauen und Kinder" und hunderte Verletzte in dem Industriekomplex aus. Die dort verschanzten ukrainischen Truppen lehnen eine Kapitulation ab. Sie warnten aber, ihre Vorräte würden knapp, und forderten internationale Unterstützung, um eine Evakuierung der Zivilisten zu ermöglichen.

Ursprünge von Asowstahl reichen in die 1930er Jahre zurück

Die Ursprünge des gigantischen Industriekomplexes am Ufer des Asowschen Meeres reichen in die 30er Jahre zurück, als die sowjetischen Behörden den Bau eines Eisenwerks in der Hafenstadt Mariupol anordneten. Die Produktion begann 1933, wurde aber kurz nach dem Angriff Nazi-Deutschlands auf die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg im Jahr 1941 gestoppt.

1943 zerstörten die deutschen Truppen bei ihrem Rückzug wichtige Anlagen. Nachdem die sowjetischen Truppen die Kontrolle zurückerlangt hatten, wurde das Werk binnen weniger Jahre wieder in Betrieb genommen.

Metinvest-Gruppe übernahm den Komplex in Mariupol im Jahr 2006

2006 wurde der Komplex von der Metinvest-Gruppe übernommen, die von dem reichsten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, kontrolliert wird.

Achmetow galt jahrelang als russlandfreundlich und war der wichtigste Großspender der Partei des ehemaligen pro-russischen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, der 2014 nach einer pro-europäischen Revolution gestürzt wurde. Danach stellte er sich hinter die Regierung in Kiew. Vergangenen Monat warf er den russischen Streitkräften Kriegsverbrechen und "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" in der Ukraine vor.

Vor Beginn des Ukraine-Krieges Eisen und Stahl produziert

Bis zum Beginn des russischen Angriffskrieges konnte das Werk laut Metinvest 5,7 Millionen Tonnen Eisen und 6,2 Millionen Tonnen Stahl pro Jahr produzieren. Damit gehört es zu den größten Stahlwerken Europas. Die riesige Fabrik bot tausenden Menschen Arbeit und beherrscht das Stadtbild von Mariupol.

Das rund elf Quadratkilometer große Areal besteht aus einem Gewirr von Eisenbahnschienen, Lagerhäusern, Kohleöfen, Fabriken, Schornsteinen und Tunneln, das als ideal für einen Guerillakampf gilt.

Industriekomplex sei "eine Stadt in der Stadt"

"Es ist eine Stadt in der Stadt", sagte kürzlich Eduard Basurin, Vertreter der prorussischen Separatisten in der Region Donezk. "Es gibt mehrere unterirdische Ebenen noch aus der Sowjetzeit, die man nicht von oben bombardieren kann. Du musst runter gehen, um sie zu säubern, und das wird dauern."

Putin bezeichnete die Erstürmung des Werks als "unmöglich"

Putin sagte am Donnerstag, eine Erstürmung des Werks sei "unmöglich". "Es ist nicht nötig, in diese Katakomben zu klettern und unter der Erde durch diese Industrieanlagen zu kriechen."

Russische Flugzeuge bombardieren den Komplex von Asowstahl

Stattdessen attackierten russische Flugzeuge den Komplex mit Bomben, um den Widerstand der dort verschanzten ukrainischen Truppen zu brechen. Drohnenaufnahmen, welche die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti am Sonntag veröffentlichte, zeigten die weitflächige Zerstörung durch die Besatzungstruppen. Zu sehen war ein Schlachtfeld mit komplett zerstörten Gebäuden, aus denen stellenweise noch Rauch aufstieg.

(APA/Red)

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