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Ukraine: Juschtschenko legt los!

Die neue ukrainische Regierung macht ernst: Den alten Machtcliquen geht es an den Kragen - aber die "Kriegserklärung" gegen das alte Regime auch intern umstritten.

n der Ukraine legt die neue Regierung los wie die Feuerwehr. Korruption bekämpfen, Soldaten aus dem Irak abziehen und Löhne erhöhen, lauten die Schlagworte der neuen Politik von Präsident Viktor Juschtschenko. Um die Bevölkerung schnell eine Verbesserung spüren zu lassen, soll der Wehrdienst verkürzt werden. Den europäischen Ausländern verspricht Juschtschenko Einreiseerleichterungen binnen Wochen.

Die alte Machtclique um Vorgänger Leonid Kutschma muss dagegen Schlimmes befürchten. Gleich mehrere Dutzend dubiose Privatisierungen von Staatsbetrieben unter Kutschma sollen rückgängig gemacht werden. Die neue Regierungschefin Julia Timoschenko spricht sogar von 3.000 zu überprüfenden Privatisierungen.

Schon melden sich erste Kritiker zu Wort, die angesichts der hohen Zahl von Prüfungen vor Schaden für das ukrainische Investitionsklima warnen. In den meisten Fällen geht es jedoch um geringe Werte. „In den letzten Monaten an der Macht hat die alte Regierung noch schnell Immobilien und anderes Staatsvermögen unter sich aufgeteilt“, betont der Kiewer Politologe Wladimir Polochalo. „Das war eher Diebstahl als Privatisierung.“

Die Stoßrichtung der neuen Führung ist eindeutig. Es geht vor allem gegen den in den Kutschma-Jahren zu Reichtum gekommenen Stahlbaron Rinat Achmetow. Von Donezk aus hatte der reichste Mann des Landes vergeblich versucht, einen Wahlsieg Juschtschenkos zu verhindern. Es gilt als sicher, dass es Achmetows Millionen waren, mit denen Juschtschenkos Widersacher Viktor Janukowitsch seinen üppigen Wahlkampf finanzieren konnte.

Bei seinem Antrittsbesuch in Donezk schlug Juschtschenko unlängst ungewohnt harsche Töne an. „Ab sofort wird das Geld nicht mehr in Aktenkoffern oder Plastiktüten von Kiew nach Donezk geschafft“, rief Juschtschenko der Donezker Elite zu. In dem Gebiet an der Grenze zu Russland hatte der prowestliche Juschtschenko bei der Wahl weniger als fünf Prozent der Stimmen erhalten.

Im Mittelpunkt des Interesses steht das größte Stahlwerk des Landes, Kriworoschstal. Das hatte sich Achmetow gemeinsam mit Kutschmas Schwiegersohn Viktor Pintschuk im Vorjahr unter dubiosen Umständen bei einer Auktion unter den Nagel gerissen. In der Regierung mehren sich die Stimmen, das Werk wieder zu verstaatlichen.

Bisher wurden noch keine konkreten Schritte gegen das alte Regime eingeleitet. Kutschma ging fürs erste ins Ausland, nach Tschechien – offiziell zu einer vierwöchigen Kur. Prager Medien spekulierten, er wolle damit einer Strafverfolgung in der Ukraine entgehen. Timoschenko forderte bereits, Kutschma das Präsidentengehalt auf Lebenszeit ebenso streichen zu lassen wie Residenz, Leibwächter und Dienstwagen.

In Juschtschenkos Umfeld ist die „Kriegserklärung“ gegen das alte Regime durchaus umstritten. Gemäßigtere Kräfte schlugen einen Kompromiss vor, der durch „freiwillige Nachzahlungen“ Achmetows in den Staatshaushalt erzielt werden sollte. Doch die Radikalreformerin Timoschenko dringt auf Renationalisierung. Optimisten hoffen, dass die Umverteilung tatsächlich dem Gemeinwohl zugute kommt und nicht nur der Juschtschenko-Gefolgschaft.

Auf den Straßen Kiews ist bisher noch wenig von der neuen Zeit zu spüren. Zum Verdruss der Autofahrer sind Juschtschenkos Direktiven noch nicht zu korrupten Verkehrspolizisten vorgedrungen. Bei aller Hoffnung herrscht in der Bevölkerung noch Zweifel, ob die Korruption alsbald mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden kann. Denn die unzureichend bezahlte Beamtenschaft ist zutiefst bestechlichlich. Das gilt aber auch für nicht beamtete Ärzte, Professoren, Richter oder Lehrer. Wolle man alle käuflichen Beamten entlassen, werde in der Ukraine bald niemand mehr arbeiten, unken Skeptiker.

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