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Ukraine: Juschtschenko beendet Blockaden

Nach dem im ukrainischen Parlament erzielten Kompromiss über Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen hat Oppositionsführer Juschtschenko die Demonstranten in Kiew aufgefordert, die Blockade der Regierungsgebäude aufzugeben.

Der Kompromiss sieht auch eine Neubesetzung der Wahlkommission vor, womit der Weg für die Wiederholung der Präsidenten-Stichwahl am 26. Dezember frei ist.

EU und USA begrüßten den Entscheid, der russische Parlamentspräsident Gryslow bezeichnete die Wahlwiederholung hingegen als illegal. Der pro-russische Präsidentschaftskandidat Janukowitsch zeigte sich ebenfalls sauer: „Im Land geht ein schleichender Umsturz vor sich. Entscheidungen werden heute nur mit Gewalt getroffen. Es herrscht Willkür“, sagte er in Donezk im Süden des Landes. Sein Gegner sagte hingegen: „Dies ist der Tag eines historischen Kompromisses.“ Juschtschenko rief seine Anhänger auf, die seit der umstrittenen Präsidentenwahl am 21. November das öffentliche Leben in der Stadt mit Massendemonstrationen und Blockaden lahm gelegt hatten, die Blockade der Regierungsgebäude zu beenden. Es werde aber weiterhin Protestaktionen geben. Auch das Zeltlager auf dem Prachtboulevard der Stadt solle bestehen bleiben. Die Opposition hatte auf eine Änderung des Wahlgesetzes gedrängt, damit es in der Stichwahl zwischen ihrem Kandidaten Juschtschenko und Janukowitsch nicht wieder zu Manipulationen kommt. Das Regierungslager wollte dem aber nur zustimmen, wenn zugleich die Machtbefugnisse des Präsidenten mit einer Verfassungsänderung beschnitten werden. Mit der Reform der Wahlgesetze werden Manipulationen bei der Wiederholung der Stichwahl erheblich erschwert. So wird die Zahl der Briefwahlstimmen stark begrenzt und Wählerlisten dürfen nicht mehr am Wahltag von Behörden verändert werden. Internationale Beobachter hatten kritisiert, dass Tausende Wähler in den Hochburgen von Janukowitsch ihre Stimme mehrmals abgegeben hätten.

Opposition baut ihre Zelte in Kiew ab

Nach dem Durchbruch in der ukrainischen Staatskrise haben zahlreiche Oppositionsanhänger am Donnerstag ihre Zelte auf den Straßen von Kiew abgebaut. Die ganze Nacht hindurch hatten die Demonstranten den nach zweiwöchigen Protesten erzielten Kompromiss mit der Regierung gefeiert, der am Mittwoch vom Parlament verabschiedet worden war. Einige Dutzend Demonstranten erklärten am Donnerstag dennoch, sie wollten die Blockade der Regierungsgebäude bis zur Wiederholung der Präsidentschaftswahl am 26. Dezember fortsetzen.

Oppositionsführer Viktor Juschtschenko sprach sich dafür aus, das Zeltlager neu zu ordnen, es aber noch nicht aufzulösen. „Diejenigen, die ihre Mahnwache in Zeltlagern fortzusetzen bereit sind, werden bleiben“, sagte der Präsidentschaftskandidat, der bei der mittlerweile annullierten Stichwahl vom 21. November offiziell unterlegen war. Einer seiner Anhänger drohte: „Wir werden Kiew nicht verlassen, ehe Juschtschenko vereidigt ist und der wahre Präsident des Volkes wird.“

Der deutsche Außenminister Joschka Fischer begrüßte unterdessen den am Mittwoch beschlossenen Kompromiss, der in einer Reihe von Wahlrechts- und Verfassungsänderungen besteht. „Mit diesem Ergebnis können alle Seiten hoch zufrieden sein“, sagte Fischer beim Treffen der NATO-Außenminister am Donnerstag in Brüssel. Es bestehe nun die Möglichkeit, dass bei der Wiederholung der Stichwahl „der Mehrheitswillen des ukrainischen Volkes unverfälscht zum Ausdruck kommen wird“. Fischer hob im Kreis seiner Kollegen die Rolle der Europäischen Union bei der Lösung der Krise hervor und nannte in diesem Zusammenhang EU-Chefdiplomat Javier Solana und die Vermittlungsbemühungen Polens und Litauens.

US-Außenminister Colin Powell lobte die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA. „Die Verantwortlichen in der Ukraine und Russland hören eine klare Botschaft aus Nordamerika und Europa, in diplomatischem Stereo – und dieser Stereoklang macht es aus. Und was sagen wir? Lasst das Volk entscheiden“, sagte Powell. Bereits zu Beginn der Woche hatte er russische Vorwürfe, wonach die Vermittlungsbemühungen in Kiew eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine darstellten, entschieden zurückgewiesen.

Ukrainische Opposition hob Blockade des Regierungsgebäudes auf

Die ukrainische Opposition hat die Blockade des zentralen Regierungsgebäudes in Kiew am Donnerstag aufgehoben. Die Beamten konnten erstmals seit zwei Wochen wieder ungehindert an ihren Arbeitsplatz gelangen. Der Amtssitz von Präsident Leonid Kutschma blieb dagegen weiterhin von Demonstranten umstellt.

Oppositionsführer Viktor Juschtschenko hatte am Mittwoch zum Ende der Blockade aufgerufen. Zugleich kündigte er jedoch an, dass die Zelte der Demonstranten bis zur Wiederholung der Stichwahl am 26. Dezember stehen bleiben sollten.

Auf dem Platz der Unabhängigkeit in Kiew hatten während der Massenproteste in den vergangenen Wochen Oppositionsanhänger mehrere hundert Zelte aufgeschlagen. Das ukrainische Parlament hatte am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit für eine Reform des Wahlrechts und der Verfassung gestimmt und damit die seit zweieinhalb Wochen schwelende Staatskrise vorerst beendet.

Unterdessen setzte ein Kiewer Gericht am Donnerstag den 2003 entlassenen Generalstaatsanwalt der Ukraine wieder ein. Swjatoslaw Piskun war seinerzeit von Kutschma entlassen worden. Er klagte dagegen, weil er die Entlassung als nicht gerechtfertigt betrachtet. Kutschma hatte am Mittwoch die Oppositionsforderung erfüllt, den derzeitigen Generalstaatsanwalt Gennadi Wassiljew zu entlassen.

Internationale Pressestimmen zur Ukraine

Internationale Tageszeitungen beschäftigten sich am Donnerstag mit den Ereignissen in der Ukraine.

„Kommersant“ (Moskau):

„Gestern hat der „Hüter der Orange“, Viktor Juschtschenko, seine Wahl getroffen. Er hat beschlossen, sie mit den Herren (Sozialisten-Chef Alexander) Moros und (Präsident Leonid) Kutschma zu teilen. … Nur für zwei scheint es nicht gereicht zu haben: für Viktor Janukowitsch und Julia Timoschenko. … Für sie ist nur die Schale übrig geblieben.“

„Corriere della Sera“ (Mailand):

„In der ukrainischen Krise ist die Blockade jetzt aufgelöst, und das Land tritt in den Wahlkampf für die Wiederholung der Stichwahl ein, die für den 26. Dezember geplant ist. Die Vereinbarung wurde von allen Beteiligten ausgehandelt und unterschrieben. Es handelt sich dabei um eine Enttäuschung für Ministerpräsident Viktor Janukowitsch, der vom amtierenden Präsidenten (Leonid) Kutschma abgesetzt wird. Aber auch der andere Viktor, der Führer der Opposition, Viktor Juschtschenko, ist nicht ganz zufrieden. Dieser hat, falls er zum Staatspräsidenten gewählt wird, lediglich zehn Monate „absoluter Herrschaft“ vor sich, bevor er seine Macht mit dem Parlament teilen muss. … Zufrieden über die Einigung sind die USA und Europa. Enttäuscht ist dagegen Moskau, das seine Karten ganz auf die Anerkennung der Wahl von Janukowitsch gesetzt hatte.“

„Gazeta Wyborcza“ (Warschau):

„Die Mühlen der Brüsseler Bürokratie mahlen langsam. Der Plan, den die EU der Ukraine vorschlägt, ist bereits nicht mehr aktuell, weil er die größeren Perspektiven der demokratischen Kräfte … nicht berücksichtigt. Entweder, was wenig wahrscheinlich erscheint, kommt es in der Ukraine zu einer Umkehr von der orangen Revolution und dann sollte sich Europa Kiew nicht nähern. Oder es werden dort ein Präsident und eine Regierung gewählt, die sich mit Reformen beeilen und zum Westen zurückkehren, und dann sollte die EU der Ukraine eine direktere Zusammenarbeit vorschlagen.“

„L’Indépendant du Midi“ (südfranzösisches Perpignan):

„Ein Volk hat seine orange Revolution vollbracht. Europa und die USA applaudieren eher vorsichtig, obwohl sie mit dem Herzen dabei sind. Letztlich ist diese Vorsicht aber überflüssig: Putin hat trotzdem einen Wutanfall bekommen. Er, der noch vor Kurzem die Wiederwahl Bushs begrüßt hatte, meint nun, die Wahlen im Irak könnten nicht ’unter Umständen der totalen Besatzung’ stattfinden. Und damit nicht genug, wirft er dem Westen vor, er sei dazu im Stande, mit einer ’kolonialen Maske’ und ’Raketen und Bomben wie in Belgrad’ in der Ukraine zu intervenieren. Der Wille des ukrainischen Volkes wiegt in den Augen des russischen Präsidenten offenkundig nicht sehr schwer. (…) Putin zeigt jetzt sein wahres Gesicht: das eines autoritären Herrschers. Jene die ihm von nun an in die Augen sehen, werden vielleicht merken, dass er es ist, der eine ’koloniale Maske’ trägt – bevor sie ihn wieder für ’vertrauenswürdig’ erklären.“

„Trouw“ (Den Haag):

„Die Ukraine erhält nicht nur einen neuen Präsidenten sondern auch ein neues politisches System. Im Hinblick auf den Zwiespalt, der sich im Land offenbart hat, wird es wohl große Mühe kosten, den Übergang reibungslos zu vollziehen. Dies ist zu erwarten, nicht nur weil Präsident Leonid Kutschma und seine Anhänger alles tun werden, um ihren Einfluss zu behalten und dazu mit ihrer Machtposition im gestärkten Parlament und mit den größeren Zuständigkeiten der Provinzen noch mehr Gelegenheit erhalten werden. Probleme können auch entstehen, weil die Arbeitsweise der heutigen Opposition noch unbekannt ist. Zu ihr gehören Politiker – wie etwa die knochenharte und des Betrugs verdächtige Julia Timoschenko – deren demokratische Prinzipien noch deutlich werden müssen. Der Machtkampf in der Ukraine endet denn auch nicht am 26. Dezember, dem Tag der zweiten Wahlrunde sondern wird noch lange danach geführt. Man kann nur hoffen, dass der Kampf wieder im Parlamentssaal geführt wird.“

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