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Türken in Zypern zwischen allen Stühlen

Mit dem EU-Beitritt der Mittelmeerinsel Zypern öffnet sich auch für die türkischen Zyprioten das Tor in die Europäische Union. Wie weit, ist indes eine andere Frage.

Selbst die Politiker haben zurzeit keine genaue Antwort parat. Nach dem Scheitern des jüngsten UN-Plans haben sich die Hoffnungen auf eine schnelle, „rechtzeitige“ Wiedervereinigung der seit 1974 geteilten Insel wieder einmal verflüchtigt. Doch seit es griechischen und türkischen Zyprioten erlaubt ist, sich gegenseitig zu besuchen, ist die letzte noch verbliebene Trennungslinie in Europa zumindest durchlässiger geworden.

„Im Durchschnitt sind es rund 10.000 Menschen beider Seiten täglich“, konstatiert die zypriotische Polizei drei Monate nach der teilweisen Öffnung der Demarkationslinie. „Wir tasten uns sozusagen ab. Wir können wieder miteinander reden, wenn auch nicht ganz frei“, sagt die Hausfrau Eleni Andreou aus Nikosia.

Für die Türken aus dem Norden eröffnen sich noch ganz andere Möglichkeiten: Rund 40.000 türkische Zyprioten sollen nach Presseberichten während ihrer Besuche im Süden einen Pass der Republik Zypern beantragt haben. Die meisten haben ihn auch erhalten. „Sie brauchen nur zu beweisen, dass sie türkisch-zypriotischer Abstammung sind und nicht Siedler aus Anatolien“, sagt ein Sprecher des zypriotischen Innenministeriums. Damit werden diese Menschen vom 1. Mai 2004 an EU-Bürger sein.

Die Vorfreude hat ihnen die Türkei, die sich seit der Invasion Nordzyperns als Beschützer der dort lebenden Türken versteht, schon einmal gründlich verdorben. Am Istanbuler Flughafen wurden jüngst türkische Zyprioten, die mit einer gemischt-zypriotischen Gruppe angereist und mit ihrem neu erworbenen Pass weiter nach Europa fliegen wollten, an der Ausreise gehindert. „Jorgos darf, Ali nicht“, schrieb die türkische Zeitung „Radikal“. Begründung der türkischen Behörden: Sie dürften nicht mit einem anderen Pass ausreisen als dem, mit dem sie eingereist seien. Einreisen können sie nur mit dem Pass der Türkischen Republik Nordzypern.

Doch für die türkisch-zypriotischen EU-Bürger in Wartestellung stellen sich noch ganz andere Fragen: Wo und wie werden sie wählen? An den zypriotischen Präsidial- und Parlamentswahlen können sie nicht teilnehmen. Die noch im Süden geltende Verfassung aus dem Jahr 1960 sieht vor, dass die griechische Volksgruppe den Präsidenten und die türkische den Vizepräsidenten der Insel in gleichzeitigen, aber getrennten Urnengängen wählt. Doch solange es die Türkischen Republik Nordzypern gibt, die die Türkei gerade mit einer Zollunion auch wirtschaftlich noch enger an sich binden will, wird es bei getrennten Wahlen in beiden Landesteilen bleiben.

Noch größer dürfte das Problem bei den Wahlen für das Europaparlament im Juni 2004 sein. Zypern soll sechs Abgeordnete wählen. Zwei davon sollen türkische Zyprioten sein. „Die EU will, dass alle Zyprioten – Griechen und Türken – ihre Abgeordneten nach Straßburg entsenden“, sagt Regierunssprecher Kypros Chrysostomidis. Wie dies organisiert werden kann, da die Mehrheit der türkischen Zyprioten im Norden lebt, ist im Moment unklar. Möglicherweise werden am Europa- Wahltag Urnen eigens für die türkischen Wähler im Süden der Insel aufgestellt. Offiziell entschieden ist noch nichts.

So richtig anfreunden kann sich die griechische Seite auch mit der aktuellen Entwicklung auf Zypern nicht. Die Besuche im jeweils anderen Teil seien keine Lösung, sagt der zypriotische Präsident Tassos Papadopoulos, der trotz aller Vorbehalte auf dem Vereinigungsplan von UN-Generalsekretär Kofi Annan beharrt. Den hat sein türkischer Gegenspieler Rauf Denktas längst zu den Akten gelegt. Selbst Annan scheint die Hoffnung auf eine Überwindung der Teilung verloren zu haben. Anfang August zog er den Zypern-Sondergesandten Alvaro de Soto ab. Der erfahrene peruanische Diplomat soll nun in der West-Sahara vermitteln.

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