AA

Türkei sieht sich in neuer Position

Die Brüsseler Entscheidung zu EU-Beitrittsverhandlungen hat der Türkei nach Ansicht von Außenminister Abdullah Gül zu einem neuen Status in Europa und der islamischen Welt verholfen.

Die Türkei sei „ein ganz anderes Land als noch vor zwei Tagen“, sagte Gül am Sonntag in Ankara. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan versprach eine Fortsetzung seiner Reformpolitik. Nach seiner Rückkehr aus Brüssel wurde der Regierungschef am Samstag von tausenden jubelnden Anhängern empfangen.

In seiner Ansprache, zu deren Beginn er mit Konfetti überstreut wurde, erklärte Erdogan: „Die Türkei hat die kritische Stelle passiert. Der Weg ist frei, da solltet ihr keinen Zweifel haben.“ Am Ende seiner Rede schoss die Menge Feuerwerkskörper in die Luft. Viele Menschen schwenkten türkische und EU-Flaggen. „Ab jetzt wird Demokratie eine neue Bedeutung haben“, sagte Erdogan. „Menschenrechte und Freiheiten werden in neuer Form ausgeübt, die Wirtschaft wird stärker.“ Die Türkei werde ihren rechtmäßigen Platz unter den modernen, zivilisierten Ländern einnehmen.

Einige Türken äußerten ihre Hoffnungen für eine den Beitrittsverhandlungen folgende EU-Mitgliedschaft der Türkei. Sie nannten höhere Löhne, einen kürzeren Militärdienst, Europareisen ohne Visum und bessere Sozialleistungen. Der 40-jährige Rahmi Kayretli sagte, er wünsche sich für die Türkei ein Gesundheits- und Bildungsystem nach europäischem Standard. „Meine Kinder werden ein besseres Leben haben.“ Seine neunjährige Tochter sagte: „Wenn ich groß bin, suche ich mir eine gute Universität im Ausland und gehe ohne Visum dorthin.“

Von seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) wurde Erdogan als „Eroberer“ und „Neuer Star der EU“ gepriesen. Die Zeitung „Hürriyet“ titelte: „Wir waren erfolgreich“, die Zeitung „Sabah“ schrieb gar von einer „Europäischen Revolution“. Nationalistische Zeitungen lehnten die Bedingungen für die Aufnahme der Beitrittsgespräche jedoch als zu hart ab. Die Zeitung „Yeni Cag“ bezeichnete das Ergebnis als Schmach. Der Weg, den die Türkei noch vor sich habe, sei schwieriger als die schon zurückgelegte Strecke, räumte ein Kommentator von „Hürriyet“ ein.

Der im April von den griechischen Zyprioten abgelehnte Plan zur Wiedervereinigung der Mittelmeerinsel könnte nach Ansicht der Türkei immer noch helfen, die Zypern-Krise beizulegen. Für die Türkei sei der Plan von UNO-Generalsekretär Kofi Annan „noch immer gültig“, sagte Außenminister Abdullah Gül am Sonntag dem Fernsehsender CNN Türk. Er hoffe auf „intensive Bemühungen um eine langfristige Lösung des Problems“ vor dem 3. Oktober 2005, dem Beginn der Beitrittsverhandlungen zwischen EU und Türkei.

Die griechische Regierung bezeichnete die künftigen Beitrittsverhandlungen als „besonders wichtigen Erfolg“ für Griechenland. Nun beginne eine neue Periode der Annäherung und eine „Normalisierung der Beziehungen“ zwischen Griechenland, Zypern und der Türkei, sagte Außenminister Petros Molyviatis am Samstag in Athen. Allerdings sei der Türkei kein Blankoscheck ausgestellt worden; das Land werde in den nächsten Jahren von den 25 EU-Mitgliedsstaaten und damit auch von Griechenland und Zypern überwacht werden, warnte Molyviatis.

Die türkischen Zyprioten hatten am 24. April für die Annahme des Annan-Plans und damit für eine Wiedervereinigung der Insel gestimmt; die griechischen Zyprioten lehnten den Plan ab. Am 1. Mai trat Zypern der EU bei.

Zypern ist seit 1974 geteilt. Damals besetzte die Türkei den nördlichen Teil der Insel, nachdem griechische Nationalisten in Nikosia geputscht hatten, die den Anschluss Zyperns an Griechenland anstrebten. Die Weigerung der Türkei, EU-Neumitglied Zypern offiziell anzuerkennen, hatte fast zum Scheitern des Brüsseler Gipfels über den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei geführt.

  • VIENNA.AT
  • Chronik
  • Türkei sieht sich in neuer Position
  • Kommentare
    Die Kommentarfunktion ist für diesen Artikel deaktiviert.