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Türkei: EU-Erweiterungskommissar zu Besuch

Zwei Tage nach Beginn der Verhandlungen ist EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn zu Besuch in Ankara. Dabei hat er die Türkei zu einer "energischen Umsetzung" aller bisherigen politischen Reformen aufgefordert.

Rechtsstaat und Meinungsfreiheit, Menschen- und Frauenrechte, die Rechte von Religionsgemeinschaften und Gewerkschaften müssten zur „alltäglichen Realität in jedem Winkel des Landes“ werden. „Es gibt noch immer viel zu tun, um die europäischen Werte und Standards zu erreichen“, sagte Rehn nach einem Gespräch mit Außenminister Abdullah Gül. Sei für den Verhandlungsbeginn eine „hinreichende“ Erfüllung ausreichend gewesen, so müsse die Türkei den politischen Kriterien „voll“ entsprechen, um die Verhandlungen abschließen und EU-Mitglied werden zu können.

Auf die noch bestehenden Defizite werde die EU-Kommission in ihrem nächsten Bericht am 9. November hinweisen. Gül versicherte, dass sein Land die wirksame Umsetzung von demokratischen und wirtschaftlichen Reformen sicherstellen und die eigenen Standards „auf jeder Ebene“ denen der EU angleichen werde. Differenzen wurden hinsichtlich des Streitfalls Zypern deutlich, der für Ankara zum ersten Stolperstein im Verhandlungsprozess werden könnte. Die EU erwarte, dass das türkische Parlament „unverzüglich“ das Zusatzprotokoll zur Zollunion ratifiziere, damit Waren zwischen der Türkei und allen 25 Mitgliedstaaten frei zirkulieren können, betonte Rehn.

Streitpubkt Zypern

Die Türkei lehnt eine Öffnung ihrer Grenzen für Schiffe und Flugzeuge aus Zypern ab. Eine Ratifizierung des Zusatzprotokolls steht laut Gül derzeit nicht auf der Tagesordnung des Parlaments. Die Europäische Union verlangt, dass die Türkei während der Beitrittsverhandlungen Zypern anerkennt. Völkerrechtlich ist die ganze Insel seit 1. Mai 2004 EU-Mitglied, doch findet das Regelwerk der Union im türkisch kontrollierten Norden keine Anwendung. Die „Türkische Republik Nordzypern“ wird nur von der Türkei anerkannt.

Die Türkei werde künftig einer „noch minutiöseren Überprüfung“ unterliegen, sagte Rehn. Sowohl die Regierungen als auch die Parlamente der EU-Staaten und die öffentliche Meinung würden den Fortgang der politischen Veränderungen in der Türkei genau überwachen. Auf die noch bestehenden Defizite werde die EU auch in ihrem nächsten Fortschrittsbericht hinweisen, der am 9. November veröffentlicht werden soll, sagte Rehn.

Mangelnde Religionsfreiheit

Der Kommissar hatte in einem im August verfassten Schreiben die mangelnde Religionsfreiheit in der Türkei kritisiert. Die staatlichen Behörden hatten zuletzt wieder den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. von Konstantinopel massiv unter Druck gesetzt. Deutschlands Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte im Mai mit seinem demonstrativen Besuch beim Oberhaupt der orthodoxen Christenheit im Phanar in Istanbul der türkischen Regierung zu verstehen gegeben, dass sie in ihrem Streben nach EU-Mitgliedschaft nicht daran vorbeikommen wird, den religiösen Minderheiten die gleichen Rechte einzuräumen, die von Muslimen in EU-Staaten in Anspruch genommen werden.

Bartholomaios und alle nichtmuslimischen Minderheiten unterstützen einen türkischen EU-Beitritt. Nur dann sehen sie eine Chance, dass ihre Diskriminierung beendet wird. Rehn hat eine genaue Definition des Begriffs „Aufnahmefähigkeit“ der EU angekündigt, der auf Betreiben Österreichs als zusätzliches Beitrittskriterium in den Verhandlungsrahmen mit der Türkei aufgenommen worden ist. Die EU-Kommission werde den Mitgliedstaaten in dieser Frage aber erst zum Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei – frühestens in zehn Jahren – einen Vorschlag unterbreiten, sagte Rehn dem ORF.

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