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Tunesiens Machthaber zog den Kürzeren

Der Druck des Volkes war offenkundig zu groß. Nach landesweiten Protesten ist der tunesische Langzeit-Machthaber Zine el Abidine Ben Ali überstürzt ausgereist. Zuvor hatte er am Freitag noch den Ausnahmezustand über das Mittelmeerland verhängt, die Regierung abberufen und Neuwahlen innerhalb eines halben Jahres versprochen.

Der arabische TV-Nachrichtensender Al-Jazeera berichtete am Abend, Ben Ali habe sich nach Frankreich abgesetzt. Europäische Reiseveranstalter hatten damit begonnen, Urlauber auszufliegen, eine Luftraumsperrung führte allerdings zu Flugausfällen.

Premierminister Mohamed Ghannouchi, der noch von Ben Ali beauftragt worden war, eine Übergangsregierung zu führen, teilte am Abend im Staatsfernsehen mit, der Präsident sei derzeit nicht in der Lage, sein Amt auszuüben. Die Regierung werde die Verfassung respektieren und die Stabilität im Land wiederherstellen. In Anwesenheit von Parlamentspräsident Fouad Mebazaa sagte Ghannouchi, er werde vorübergehend die Funktionen des Staatsoberhauptes wahrnehmen. Der TV-Sender “Al-Arabiya” meldete, ein sechsköpfiges Gremium mit Ghannouchi und Mebaaza an der Spitze werde das Land bis zur Abhaltung von Neuwahlen regieren.

In der Hauptstadt Tunis hatten zuvor mehr als zehntausend Menschen den Rücktritt des seit 23 Jahren herrschenden Staatschefs gefordert. Bisher sollen rund 80 Menschen bei den Unruhen umgekommen sein. Der Luftraum über dem nordafrikanischen Land war nach Verhängung des Ausnahmezustands komplett gesperrt worden. Das Militär riegelte den Flughafen der Hauptstadt Tunis ab. Ben Ali hatte noch am Donnerstagabend Zugeständnisse gemacht und für 2014 das Ende seiner Präsidentschaft in Aussicht gestellt. Sprecher von Oppositionsparteien im Land kritisierten das Angebot jedoch als ungenügend. Der Oppositionelle Nejib Chebbi von der Demokratischen Fortschrittspartei (PDP) forderte die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit.

Jahrelang hatte es der mittlerweile 74-Jährige verstanden, das Image eines skrupellosen Diktators zu vermeiden. Seit den Ereignissen der vergangenen Tage ist es damit allerdings vorbei. Ben Ali nahm zahlreiche Tote in Kauf, um die Protestbewegung niederzuschlagen. Erschrocken blickt die Welt auf einen Mann, der Polizisten auf Demonstranten schießen lässt und Meinungs- und Versammlungsfreiheit missachtet.

Wie straffe Führung funktioniert, hat Ben Ali von der Pike auf gelernt. Er wurde an Militärakademien in Frankreich und den USA ausgebildet, später arbeitete er jahrzehntelang an der Spitze der militärischen und nationalen Sicherheit – unterbrochen von diplomatischen Auslandsaufenthalten. 1987 wurde er erst Innen- und dann Premierminister. Ende desselben Jahres kam es zum unblutigen Coup (“medizinischen Staatsstreich”) gegen den zuletzt senilen Habib Bourguiba (1903-2000), der Präsident auf Lebenszeit war. Ben Ali übernahm die Macht auch unter dem Beifall des Auslands. In seiner Antrittsrede versprach er Demokratie, Pluralismus und soziale Gerechtigkeit. Auf die Einlösung dieser Versprechen warten die Tunesier bis heute. Bürgerrechte und Meinungsfreiheit wurden stark eingeschränkt. Die gegängelte und eingeschüchterte Opposition hatte keine Chance.

Schwerste Korruptionsvorwürfe werden von Regimekritikern gegen Ben Alis Ehefrau Laila und deren Bruder Mourad Trabelsi erhoben, die angeblich hinter den Kulissen die Fäden zogen und sich auch am Drogenhandel enorm bereichert haben sollen. Zahlreiche Kritiker des Trabelsi-Clans landeten im Gefängnis. Die tunesische Exilpresse in Frankreich berichtete über Vettern- und Günstlingswirtschaft, Filz und Korruption im Umfeld des mächtigen Clans der Schwiegerfamilie des Staatschefs. Der Clan beanspruche Bankkredite in Milliardenhöhe, die nie zurückbezahlt würden, und bekomme riesige Provisionen bei Staatsaufträgen und bei Investitionen ausländischer Firmen. Bei allen staatlichen Bewilligungsverfahren beziehe er Schmiergelder, heißt es. “Leila Ben Ali ist die meistgehasste Frau des Landes”, sagten Tunesier.

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