Türkei nennt Böhmermann-Gedicht "Verbrechen gegen Menschlichkeit"
“Deshalb wollen wir als Republik Türkei natürlich, dass dieser unverschämte Mann im Rahmen der deutschen Gesetze sofort wegen Beleidigung eines Präsidenten bestraft wird.” Kurtulmus betonte aber, die Türkei wolle “absolut keinen politischen Druck” auf Deutschland ausüben. Er warf Böhmermann vor, mit dem Gedicht ein “schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit” begangen zu haben. Der Text habe “alle Grenzen der Schamlosigkeit übertroffen”. Die Regierung in Ankara könne das nicht akzeptieren.
Türkei übergibt diplomatische Note
Die Türkei hatte schon zuvor verlangt, dass der Satiriker Jan Böhmermann strafrechtlich verfolgt wird. Eine entsprechende diplomatische Note sei an die deutschen Behörden geschickt worden, sagte ein Sprecher von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan am Montag in Ankara. Die deutsche Bundesregierung prüft den förmlichen Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung.
Gut eineinhalb Wochen nach der Ausstrahlung des Schmähgedichts über den türkischen Präsidenten Erdogan in Böhmermanns Fernsehshow “Neo Magazin Royale” verstärkt sich die Diskussion über die Grenzen der Satirefreiheit noch einmal. Der 35-Jährige hatte in seinem Gedicht bewusst beleidigende Formulierungen benutzt, um – wie er selbst erläuterte – die Unterschiede zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik deutlich zu machen.
“Vulgäre Aussagen”
Nach Ansicht des Sprechers des türkischen Staatspräsidenten richte sich Böhmermanns Gedicht sowohl gegen Erdogan, als auch gegen das türkische Volk. “Vulgäre Aussagen, die derartige Beleidigungen enthalten”, hätten nichts mit Meinungs- oder Pressefreiheit zu tun, sondern seien eine Straftat.
Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte am Montag in Berlin, dass die Prüfung des türkischen Ansinnens ein paar Tage, aber nicht Wochen dauern werde. Gleichzeitig betonte er, die Freiheit der Kunst und die Pressefreiheit seien für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) weder nach innen noch nach außen verhandelbar. Dies gelte unabhängig davon, ob sie etwas für geschmacklos halte und davon, dass die EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zusammenarbeite.
Staatsanwaltschaft nicht über Strafverlangen der Türkei informiert
Die Staatsanwaltschaft Mainz, die wegen mehrerer Anzeigen gegen Böhmermann sowie gegen ZDF-Verantwortliche ermittelt, wurde nach eigenen Angaben bisher nicht über das Strafverlangen der Türkei informiert. “Hier liegt noch nichts vor, und ich bin auch von keiner amtlichen Seite diesbezüglich unterrichtet”, teilte die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller mit. Für eine Strafverfolgung in solchen Fällen brauche es neben dem Strafverlangen der Türkei auch eine entsprechende Ermächtigung vonseiten der Bundesregierung.
In dem Fall geht es um den Vorwurf der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten. Dies kann mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe geahndet werden, bei verleumderischer Absicht, sogar mit bis zu fünf Jahren.
“Will mir nicht vorstellen, dass Böhmermann verurteilt wird”
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) Frank Überall rechnet nicht mit einem Prozess gegen Jan Böhmermann. “Ich kann mir nicht vorstellen, dass Anklage erhoben wird. Und ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Böhmermann tatsächlich verurteilt wird”, sagte er.
ZDF will an Böhmermann festhalten
Das ZDF will an seinem Moderator trotz des Ärgers festhalten. Dessen “Neo Magazin Royale” stehe nicht zur Disposition, teilte der Sender mit. “Die Sendung wird wie bisher fortgeführt.” Böhmermann selbst, der am Freitagabend für eine frühere Satire-Aktion (“Varoufake”) in Abwesenheit den begehrten Grimme-Preis erhielt, hält sich seit Tagen aus der öffentlichen Diskussion heraus.
Vorsitzender der Türkischen Gemeinde will Entschuldigung
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hält eine Anklage nicht für notwendig. Böhmermann und das ZDF sollten sich aber entschuldigen, sagte er am Montag. “Ich finde das nicht satirisch, sondern deplatziert und beleidigend”, erklärte Sofuoglu.
Böhmermann erhält prominente Zustimmung
In der Öffentlichkeit hat Böhmermann zuletzt prominente Zustimmung erfahren: “Ich finde Ihr Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht”, schrieb Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner in einem offenen Brief an Böhmermann in der “Welt am Sonntag”. “Dass Ihr Gedicht geschmacklos, primitiv und beleidigend war, war ja – wenn ich es richtig verstanden habe – der Sinn der Sache”, so Döpfner. “Ich möchte mich, Herr Böhmermann, vorsichtshalber allen ihren Formulierungen und Schmähungen inhaltlich voll und ganz anschließen und sie mir in jeder juristischen Form zu eigen machen.”
Aus Solidarität mit Böhmermann verspottete der Kabarettist Dieter Hallervorden (80) den türkischen Staatspräsidenten in einem Lied: In “Erdogan, zeig’ mich an”, das Hallervorden am späten Sonntagabend auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte, heißt es unter anderem: “Ich sing’ einfach, was du bist. Ein Terrorist, der auf freien Geist scheißt.”
Auch Politik und Gewerkschafter solidarisch
Unterstützung bekam Böhmermann auch von Gewerkschaftsseite: Frank Werneke, stellvertretender Verdi-Vorsitzender, fordert von der Bundesregierung, dem Ersuchen der türkischen Regierung nicht nachzugeben. “Die Bundesregierung muss an dieser Stelle glaubwürdig die Meinungs- und Pressefreiheit verteidigen.” SPD-Generalsekretärin Katarina Barley formulierte es so: “Im Zweifel immer für die Kunstfreiheit, im Zweifel immer für die Meinungsfreiheit – das müssen wir aushalten.”
CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte auf n-tv: “Wir haben in Deutschland eine sehr gute Tradition, was Kritik, auch satirische Kritik an der Politik auf der Basis der freien Meinungsäußerung betrifft.” Allerdings müsse man sich in einem Rechtsstaat an alle Regeln halten. “Und eine Regel ist, dass die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter strafbar ist.”
Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion Die Linke, verlangte, Bundeskanzlerin Merkel müsse sich schützend vor die Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland stellen und Ankara eine Absage erteilen. “Es ist unerträglich, dass die Bundesregierung sich ständig durch Ankara erpressen lässt.”
(APA)