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Türkei ist ein heißes Pflaster für Journalisten

Wer in der Türkei als politischer Journalist arbeitet, lebt gefährlich. Die Zahl inhaftierter und von der Justiz verfolgter Berichterstatter ist in den letzten Jahren der AKP-Regierung dramatisch gestiegen. Derzeit sitzen 40 bis 48 Journalisten hinter Gittern, gegen 700 weitere liefen in jüngerer Zeit Ermittlungen, berichtete die türkische Presse diese Woche. Internationale Presseinstitutionen sind besorgt über das Faktum, dass hierbei nicht das Presse-, sondern das türkische Strafrecht angewendet wird. Im Visier der Justiz sind vor allem Journalisten, die in den dubiosen Verschwörungsfällen wie Ergenekon recherchierten.

Im Pressefreiheit-Index der Medienorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hat sich die Türkei entsprechend verschlechtert. Eine Zeitung vermerkte, das Land am Bosporus sei in der RSF-Wertung so abgestürzt, als die konservativ-islamische Regierung – neben politischen Gegnern, Militärs und Intellektuellen – auch kritische Journalisten unter dem Vorwurf der Beteiligung an Umsturzplänen (Affäre Ergenekon) festzunehmen begann. In der Folge fiel die Türkei 2008 auf dem RSF-Index um 20 Ränge von Platz 102 auf 122 unter 175 Staaten.

Die türkische Opposition lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen: Demnächst will die kemalistische CHP in der Europäischen Kommission und vor Europa-Parlamentariern einen Bericht über die Situation der Presse präsentieren. Der Report werde in Englisch, Französisch und Deutsch publiziert, verkündete CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu nach Presseberichten vom Mittwoch im Parlament. Der Druck auf Medien und Journalisten habe im Vorfeld des jüngsten Verfassungsreferendums noch zugenommen und werde vermutlich vor den Parlamentswahlen im kommenden Jahr weiter steigen, wurde der Oppositionschef zitiert.

Waren es zuerst eher regierungskritische Journalisten, die in die Fänge der Justiz gerieten, so kamen zuletzt Mitarbeiter von durchaus AKP-freundlichen Medien an die Reihe. Der Aufdeckungsjournalistin Helin Sahin von der Tageszeitung ”Star” droht wegen ihrer Berichte zu den Polit-Affären Ergenekon und Balyoz eine lange Haftstrafe. Das Internationale Presse Institut (IPI) appellierte im Fall Sahin an die Türkei. Sahin wurde unter anderem Geheimnisverrat vorgeworfen. ”Ich fürchte mich nicht. Ich werde weiter unter meinem Namen schreiben”, sagte Sahin am Montag.

Wegen Geheimnisverletzung steht auch ein weiterer ”Star”-Mitarbeiter vor Gericht, der zuvor für die AKP-loyale ”Taraf” gearbeitet hatte. Ein ausländischer Journalist würde freigesprochen, wenn er beweisen könne, dass sein Bericht stimmt, so Bünyamin Demirkan zur englischsprachigen ”Turkish Daily News”. In der Türkei argumentiere das Gericht aber gemäß dem Strafrecht auf Geheimnisverrat. Beim dritten derartigen Fall erwischte es gar einen Mitarbeiter des islam- und AKP-treuen Blattes ”Zaman”.

Inzwischen sickerte durch, dass Ministerpräsident und AKP-Chef Recep Tayyip Erdogan im Vorfeld der ”sensiblen” Parlamentswahlen 2011 den Abgeordneten seiner Partei strenge Auflagen für Auftritte im Fernsehen erteilt habe. Erdogan, dessen gemäßigt-islamische AKP seit 2002 am Ruder ist, habe ihnen geraten, vor TV-Aussagen die Genehmigung der Parteiführung einzuholen.

In der Türkei wurde in jüngster Vergangenheit rigoros gegen Medien vorgegangen, die allzu regierungskritisch auftraten. Es ist noch nicht lange her, dass die Dogan-Mediengruppe eine sagenhafte Steuerstrafe von 3,3 Mrd. Dollar (2,38 Mrd. Euro) aufgebrummt bekam. Die zu dem Medienkonzern gehörige säkulare Zeitung ”Milliyet” hatte zuvor über mutmaßliche Verbindungen der AKP zu einer islamistischen Hilfsorganisation in Deutschland (Leuchtturm-Affäre) berichtet. ”Die Türkei ähnelt unter der AKP in Medienbelangen eher Russland als Europa”, meinte ein Universitätslektor in Istanbul verärgert.

Auch in den elektronischen Medien lässt die Pressefreiheit sehr zu wünschen übrig. Über den stark eingeschränkten Zugang zum Internet in der Türkei hat die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu Jahresbeginn Klage geführt. 3.700 Websites sind in dem EU-Bewerberland verboten. Das Videoportal YouTube wurde schon vor Jahren mit einem Verbot belegt. Offizielle Begründung: Beleidigung von Republiksgründer Kemal Atatürk. Böse Zungen behaupten: Beleidigung von Regierungschef Erdogan.

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