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Türkei: Ex-Ministerpräsident Ecevit gestorben

Der ehemalige türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit ist tot. Ecevit starb nach Angaben des Hulhane Militär-Hospitals in Ankara am späten Sonntagabend im Alter von 81 Jahren nach längerer Krankheit an Kreislaufversagen.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan würdigte Ecevit am Montag als einen Politiker, der sich außerordentliche Verdienste um sein Land erworben habe. Türkische Tageszeitungen gedachten des Politikers mit langen Lobeshymnen.

Der Sozialdemokrat war mehrfach Ministerpräsident – darunter zwei Mal für längere Zeit, unter anderem von 1999 bis 2002. Er trat im November 2002 nach dem Wahlsieg von Recep Tayyip Erdogan und dessen islamisch-konservativer Partei als Regierungschef ab. Im Mai dieses Jahres erlitt Ecevit einen Hirnschlag, von dem er sich nicht mehr erholte. Ecevit hatte fast ein halbes Jahrhundert die politischen Geschicke der Türkei mitbestimmt.

Zurückblicken konnte der Politiker, der 30 Jahre zuvor dem Atatürk-Weggefährten Ismet Inönü die Führung der Republikanischen Volkspartei (CHP) entrissen hatte, auf politisch bewegte Zeiten. Ein halbes Jahrhundert lang war Bülent Ecevit eine Schlüsselfigur der türkischen Politik. Er war fünf Mal Ministerpräsident und sorgte mit Entscheidungen wie der Zypern-Invasion 1974 für internationale Kontroversen, die bis heute das Verhältnis der Türkei zu Europa und der EU bestimmen.

Seine letzte Amtszeit als Ministerpräsident endete vor vier Jahren mit der bittersten politischen Niederlage: Der damals 77-jährige wurde mit seiner Demokratischen Linkspartei auf ein Prozent marginalisiert. Die Wahl 2002 war wie eine politische Zeitenwende in der Türkei seit Mustafa Kemal Atatürk – zerschlug sie doch das säkular geprägte politische Establishment und brachte die radikalislamischen Partei Erdogans an die Macht.

Ecevit galt zuletzt als Musterbeispiel einer abgewirtschafteten, von Korruptionsskandalen erschütterten politischen Elite. In seiner letzten Regierungszeit ab 1999 war Ecevit zudem bereits gesundheitlich schwer angeschlagen und oft nicht in der Lage seine Amtsgeschäfte auszuüben. Er – aber auch das politische Establishment, für das er stand – galten als „der kranke Mann am Bosporus“. Ecevit wehrte sich vergebens gegen dieses Image, das seine Regierung mit dem zerfallenden Osmanischen Reich gleichsetzte, aus dessen Trümmern nach dem Ersten Weltkrieg die Türkei Atatürks hervorging.

In jungen Jahren machte der 28. Mai 1925 in Istanbul geborene Professorensohn als Intellektueller und Schriftsteller von sich reden. Bei seinen politischen Comebacks nach tiefen Stürzen half ihm später der Mythos, 1974 die türkischen Streitkräfte nach Zypern beordert zu haben, um die Inseltürken vor rechtsgerichteten griechischen Putschisten zu schützen. Daran erinnerten sich viele, als es dem türkischen Geheimdienst gelang, im Februar 1999 den PKK-Führer Abdullah Öcalan – für viele Türken der Staatsfeind Nummer eins – aus Kenia in die Türkei zu bringen. Welchen Anteil Ecevit als Ministerpräsident an der Geheimdienstaktion gehabt hat, fragte kaum jemand. Die Wähler hielten ihm dies dennoch zugute, seine Partei kam 1999 auf respektable 22 Prozent.

Ecevit prägte wie wenige andere die Innenpolitik seines Landes mit. Die Rolle, die er dabei spielte, war immer kontrovers und oftmals bei Freund und Feind umstritten. Sein ausgeprägtes politisches Ego und Sendungsbewusstsein brachte die Sozialdemokratie türkischer Prägung an die Spitze der Macht und trug auch zu deren Spaltung und erneuter Schwächung bei.

Bei allen Kursänderungen behielt er aber eine bestimmte Linie im Auge: Den Kemalismus, das Bekenntnis zu den Reformen Atatürks, wurde ihm quasi mit in die Wiege gelegt. Sein Vater stand als Parlamentsabgeordneter dem Republikgründer nahe, seine Mutter war als bekannte Künstlerin und Lehrerin eine typische Vertreterin der neuen Generation moderner Bürgerfrauen, die sich von den osmanisch-islamischen Traditionen zu emanzipieren anschickte.

So trat Bülent Ecevit schon 1950 der von Atatürk gegründeten Republikanischen Volkspartei (CHP) bei. Vom damaligen CHP-Patriarchen und Atatürk-Gefährten Ismet Inönü gefördert, machte Ecevit Ende der 50er und in den 60er Jahren schnell Karriere, wurde Abgeordneter und Minister. Nach jahrelangen innerparteilichen Kämpfen gelang es Ecevit, der von konservativen Kemalisten als Sozialromantiker bekämpft wurde, Inönü zu entmachten und 1972 selbst den Vorsitz der Partei zu übernehmen, der er nun einen eindeutig sozialdemokratisch orientierten Kurs verordnete.

Nachdem die CHP im Oktober 1973 stärkste Partei geworden war, wurde Ecevit im Jänner 1974 erstmals Ministerpräsident. Trotz seiner Zustimmung zur militärischen Intervention auf Zypern im Juni sah er sich aber durch die weitere Entwicklung der zypriotischen Angelegenheiten im September zum Rücktritt gezwungen.

Auch Ecevits zweite Amtszeit als Premier vom Jänner 1978 bis Oktober 1979 endete letztlich mit einem Misserfolg. Seine Partei erwies sich als zu schwach, sich in der durch ein bürgerkriegsähnliches Klima geprägten innenpolitischen Krise der damaligen Zeit gegen die rechten und konservativen Kräfte durchzusetzen.

Der Putsch des Militärs im September 1980 brachte auch für Ecevit einen tiefen Einschnitt in seiner politischen Laufbahn. Alle Parteien wurden verboten, ihren Führern jede politische Betätigung untersagt. Ecevit behielt jedoch hinter den Kulissen die Fäden in der Hand, während seine Frau Rahsan offiziell die Führung der neu gegründeten Demokratischen Linkspartei übernahm. Ein großer Teil der Sozialdemokraten aus der alten CHP wollten aber Ecevits zunehmend nationalistischen Kurs nicht mitmachen, was zur Spaltung der türkischen Sozialdemokratie führte.

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