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Tritt Blair auf die Notbremse?

Bereitet die britische Regierung einen Kurswechsel in der Irak-Politik vor? Ein Bericht des konservativen „Daily Telegraph“ sorgte am Donnerstag für Aufregung in London.

Die Regierung von Premierminister Tony Blair wolle ihren Verbündeten USA überreden, frühestens im Herbst im Irak einzumarschieren, um den UNO-Waffeninspektoren mehr Zeit für ihre schwierige Arbeit zu geben. Zwar versicherte Blairs Sprecher umgehend, der Bericht sei „kategorisch falsch“. Doch war in Statements britischer Spitzenpolitiker in dieser Woche auffällig häufig von Frieden die Rede. Die scharfe Kriegsrhetorik überlässt Blairs Mannschaft dem Verbündeten in Washington.

In den vergangenen Wochen hatten britische Medien den Eindruck gewonnen, Premierminister Blair könne es gar nicht schnell genug gehen mit einem Angriff auf den Irak an der Seite der USA. Weltweit halten es Experten und Medien für ausgemacht, dass ein Angriff bald nach Vorlage des Berichts der UNO-Inspektoren am 27. Jänner erfolgen werde. Außenminister Jack Straw trat in dieser Woche auf die Bremse:
Es entstehe ein falscher Eindruck, wenn in den Zeitungen ein Krieg bereits als hundertprozentig sicher bezeichnet werde, kritisierte er im BBC-Rundfunk. Straw bezifferte die Wahrscheinlichkeit eines Kriegs auf derzeit 40 Prozent, vor Weihnachten habe sie noch bei 60 Prozent gelegen. Ein Krieg sei nicht unvermeidbar.

In die gleiche Richtung gingen die Äußerungen eines hohen Regierungsbeamten, den der „Daily Telegraph“ am Donnerstag ohne Namensnennung zitierte: „Es gibt die Annahme, dass ein Angriff wegen der Hitze vor dem Sommer erfolgen müsse. Der Herbst wäre allerdings genauso passend, und in der Zwischenzeit könnten die Inspektoren Saddam weiter unter die Lupe nehmen.“ London verspreche sich von einem Aufschub Vorteile: Entweder stellen die UNO-Experten bis dahin fest, dass der Irak keine Massenvernichtungswaffen hat. Dann wäre ein Krieg unnötig. Oder aber sie liefern klare Beweise, dass der Irak die Rüstungsbeschränkungen durchbrochen hat. Dann wäre ein Krieg rechtlich abgesichert und auch gegenüber kriegsskeptischen Verbündeten vertretbar.

Auch wenn Blairs Sprecher vehement bestritt, dass London bei den USA auf eine Verschiebung des Kriegs dringe, räumte er doch ein, dass den UN-Inspektoren genügend „Zeit und Raum für ihre Arbeit“ zugestanden werden solle. Bei einem Besuch in Indonesien legte Straw am Donnerstag nach: Das Ziel im Konflikt mit Bagdad sei allein die Entwaffnung des Irak und nicht ein Sturz des Machthabers Saddam Hussein. Wenn dieser die Bedingungen der UNO-Resolution 1441 akzeptiere, gebe es seiner Ansicht nach keinen Grund, warum der Konflikt nicht friedlich beigelegt werden sollte.

Die Haltung der britischen Regierung ist für den weiteren Fortgang der Irak-Krise nicht unerheblich, hat sich doch kein europäischer Regierungschef in Washington derart viel Gehör verschafft wie Tony Blair. Mit großer Ausdauer versicherte er die USA immer wieder der Gefolgschaft Großbritanniens. Zuhause in den eigenen Reihen beginnt sich hingegen offenbar erster Widerstand zu regen. Nach einem Bericht des linksliberalen „Guardian“ bereiten bis zu hundert Parlamentarier von Blairs Labour-Partei eine Meuterei gegen ihren Chef vor, sollte der ohne ein UNO-Mandat in einen Krieg gegen den Irak ziehen. Mehrere hohe Regierungsbeamte der Partei, die auf eine lange pazifistische Tradition zurückblicken kann, würden in diesem Fall ihren Rücktritt erklären. Eine friedliche Lösung im Irak könnte Blair also erheblichen Ärger ersparen.

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