Traumatherapie wird Jahre dauern
Laut Münkner-Kramer sollte sich Natascha Kampusch nach einer ersten Angewöhnungsphase an ihre Familie in eine längerfristige Vier-Phasen-Therapie begeben: Angefangen von der ersten Phase der Anamnese wäre diese auf eine Stabilisierung der Person, eine Traumkonfrontation bis hin zu einer Trauerphase ausgerichtet.
Eine vollkommene Aufarbeitung des Geschehenen hängt jedoch auch von den erfolgten Übergriffen ab und kann ein bis drei Jahre dauern. Eine Konfrontation mit dem Entführer ist bei der Aufarbeitung des Stockholm-Syndroms von Vorteil, da die Opfer den Tätern noch offene Fragen stellen können. Da für Natascha diese Möglichkeit nach dem Selbstmord Wolfgang Priklopils nicht mehr besteht, wird die Traumaaufarbeitung um einiges schwieriger ausfallen, erklärte die Traumatherapeutin gegenüber der APA.
Positiv ist laut Münkner-Kramer, dass die damals zehnjährige Natascha zum Zeitpunkt der Entführung schon eine Persönlichkeit entwickelt hatte und aus einem stabilen, familiären Umfeld kam. Defizite im Umgang mit Gleichaltrigen oder diversen Autoritäten treten in solchen Fällen jedoch fast immer auf, so die Notfallpsychologin, die aber im Fall Natascha von keinem totalen Kontrollverlust im Zuge des Stockholm-Syndroms ausgeht. Möglich sei es aber, dass Natascha sich zwar für die Entführung teilweise die Schuld gegeben hätte, jedoch die Gedanken zur Flucht und ihre eigene Identität nie ganz aufgegeben habe.
Es scheint so, als hätte sich Natascha bis zu einem gewissen Grad ihrem Entführer angepasst, um die acht Jahre in Gefangenschaft überhaupt aushalten zu können. Die Wirklichkeit scheint sie dabei jedoch nie ganz außer Augen gelassen zu haben, meinte Münker-Kramer. Ihr Entführer habe wahrscheinlich ein Druckmittel eingesetzt und Natascha dadurch erpresst und ihre Fluchtversuche so zunichte gemacht.
Möglich sei es auch, dass Natascha nach einer Phase der Resignation in den vergangenen Wochen wieder Mut gefasst habe. Wolfgang Priklopil hatte die Kontrolle von Natascha zuletzt gelockert, dies könnte wieder ihre Energie und ihre natürlichen Fluchtreflexe geweckt haben. Andernfalls hätte ihr die Flucht nie gelingen können, so die Expertin.