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Totschlag-Urteil: Für Staatsanwaltschaft war Anklage "richtig"

Die Staatsanwaltschaft Wien zeigt sich nach den teilweise heftigen Reaktionen auf die Anklage und das Urteil, in denen einem gebürtigen Türken, der auf seine scheidungswillige Ehefrau eingestochen hatte, eine "allgemein begreifliche, heftige Gemütsbewegung" zugestanden wurde, unbeirrt.
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“Die Anklage wegen versuchten Totschlags war schlicht und ergreifend richtig”, meinte Behördensprecher Gerhard Jarosch gegenüber der APA.

Bei der Frage, ob bei dem Angeklagten eine “heftige Gemütsbewegung” gegeben war, sei nicht auf den Durchschnittsösterreicher abzustellen gewesen, sondern “auf einen durchschnittlichen, aus der Türkei stammenden Arbeiter in seinem Alter”, sagte Jarosch. Einem solchen sei, bezogen auf seine Herkunft, Sozialisation und Mentalität eine heftige Gemütsbewegung jedenfalls zuzubilligen, wenn ihm seine Frau die Scheidungspapiere präsentiere.

“Die weitere Frage ist, ob diese Gemütsbewegung allgemein begreiflich ist”, führte Jarosch aus. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sei im gegenständlichen Fall diese “für die österreichische Rechtsordnung gerade noch begreiflich”. Der zuständige Staatsanwalt habe sich dabei auf Judikatur des Obersten Gerichtshofs (OGH) und vor allem den sogenannten Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch gestützt.

 

Der emeritierte Linzer Strafrechtsprofessor Reinhard Moos, der im Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch die vorsätzlichen Tötungsdelikte behandelt hat, vermag sich der Ansicht der Staatsanwaltschaft nur bedingt anzuschließen. Moos bejahte am Mittwoch im Gespräch mit der APA jedenfalls die heftige Gemütsbewegung, zeigte sich aber nicht völlig überzeugt, ob diese auch allgemein begreiflich war.

“Es wäre besser gewesen, man wäre mit der Sache vor ein Geschworenengericht gegangen und hätte das Gericht entscheiden lassen, ob ein versuchter Mord oder ein versuchter Totschlag vorliegt, und nicht das Schöffengericht auf den Totschlag festgenagelt”, sagte Moos.

Dass im vorliegenden Fall in der Öffentlichkeit die heftige Gemütsbewegung teilweise in Zweifel gezogen wird, ist für den Strafrechts-Experten nicht nachvollziehbar. Bei der Frage, ob eine Affekt-Tat vorliegt, sei auf “den konkreten Täter in seinem sozialen Umfeld und auf seine Herkunft” abzustellen: “Diese Individualisierung ist nötig. Man hat auf jeden Täter einzugehen und zu differenzieren, ob der ein Tiroler Bauer in der Einschicht oder ein Linzer Stahlarbeiter ist. Das ist gerecht.”

Allgemein begreiflich sei eine Affekt-Tat dann, “wenn er (der Täter, Anm.) im Augenblick der Tat durchgedreht hat”, meinte Moos. Im vorliegenden Fall spreche die Vielzahl der Messerstiche dafür: “Ohne Affekt sticht man nur einmal zu, kühl und überlegt, und dann hat es sich.”

Demgegenüber stehe der Umstand, dass der Mann offensichtlich schon länger die Scheidungsabsichten der Frau kannte und gegen sie handgreiflich wurde. “Ein schlechter Charakter ist nicht allgemein begreiflich. Wenn es nur darum geht, dass er ein Brutalo ist, wird man ihm das kaum zugestehen können.”

Wie Moos darlegte, wäre es nach seinem Dafürhalten durchaus angebracht gewesen, hätte sich der Schöffensenat am Ende der Verhandlung für unzuständig erklärt und die Strafsache einem Geschworenengericht übertragen.

Gerade die Geschworenen zu umgehen, dürfte jedoch im konkreten Fall eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben: Bei der Beweislage – die Ehefrau hatte sich von Anfang an der Aussage entschlagen – wäre zu befürchten gewesen, dass eine Anklage wegen versuchten Mordes vor den Geschworenen nicht hält und womöglich nur auf Körperverletzung erkannt wird. Aus pragmatischen Gründen dürfte der Staatsanwalt daher den mit immerhin bis zu zehn Jahren Haft bedrohten Totschlag herangezogen haben, den nicht juristische Laien, sondern ein Berufsrichter und zwei Schöffen zu beurteilen hatten.

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