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Tote nach gewaltiger Chemieexplosion in chinesischer Stadt Tianjin

Explosion in Lager mit gefährlichen Chemikalien in Tianjin
Explosion in Lager mit gefährlichen Chemikalien in Tianjin
Eine Serie gewaltiger Explosionen hat mindestens 44 Menschen in der chinesischen Hafenstadt Tianjin in den Tod gerissen. Mehr als 520 Verletzte kamen in Krankenhäuser. 66 von ihnen waren in einem kritischen Zustand, wie Behörden in der Millionenmetropole am Donnerstag mitteilten. Kilometerweit erleuchteten Feuerbälle den Nachthimmel, eine heftige Druckwelle folgte, die selbst Türen aus den Angeln riss. Die Erschütterungen waren so heftig, dass sie vom nationalen Erdbebenzentrum registriert wurden.
Gewaltige Chemieexplosion

Detonationen und Feuer richteten großen Schaden an – auf einem nahen Parkplatz wurden nach Medienangaben mehr als 2.700 fabrikneue Volkswagen vernichtet. Videos zeigten einen pilzförmigen Feuerball über der Stadt.

Die Zahl der Todesopfer nach heftigen Explosionen in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin ist auf mindestens 44 gestiegen. Unter ihnen seien zwölf Feuerwehrleute, meldete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am Donnerstag. 520 Verletzte würden in Kliniken behandelt, 66 von ihnen seien in kritischem Zustand.

Erdbebenzentrum registriert Erschütterungen

Laut des Staatssenders CCTV wurde die Feuerwehr der Stadt am Mittwochabend wegen eines Feuers in einem Hafenlager mit gefährlichen Chemikalien alarmiert. Nachdem die Retter eingetroffen waren, kam es zu mehreren schweren Explosionen. Die Erschütterungen während der Explosionen waren so stark, dass sie vom nationalen Erdbebenzentrum registriert wurden.

“Es war wie ein Erdbeben”

“Ich saß auf meinem Bett, als ich plötzlich einen lauten Knall hörte. Dann vibrierten die Fenster. Es war wie ein Erdbeben. Ich bin schnell auf die Straße gelaufen, um mich in Sicherheit zu bringen”, sagte der 27-Jährige Lin Chen, der ungefähr zehn Kilometer von der Stelle der Explosionen entfernt wohnt, der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in einem Telefoninterview. “Ich habe gehört, dass die Krankenhäuser voll mit Leuten sind. Es ist wirklich tragisch.”

Szenen “wie im Krieg”

Ein Feuerblitz erhellt die Nacht, heftige Explosionen folgen. Über der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin steigt eine große pilzförmige Wolke in den Himmel, als ob gerade eine gewaltige Bombe eingeschlagen hätte. Die Zerstörungen im Hafengelände des Binhai-Distrikts sind enorm. Feuer breitet sich in einem weiten Umkreis aus. Am Morgen danach sieht die Gegend von der Luft aus wie ein Kriegsgebiet. Trümmer waren selbst weit entfernt in Häuserwände eingeschlagen, haben Menschen verletzt. Die Druckwelle war Kilometer weit zu spüren, drückte Fenster ein. “Wie ein Erdbeben” oder “wie im Krieg”, schildern Augenzeugen immer wieder. “Erst dachte ich, Tianjin erlebt einen Bombenangriff”, sagt ein anderer.

Der Wanderarbeiter Wang Yongyong stand gerade unter der Dusche seiner Unterkunft, als die erste Druckwelle Türen und Fenster eindrückte und ihn drei, vier Meter wegschleuderte. Nur in Unterhose und mit einem Latschen rannte er raus, als die zweite Explosion folgte. “Die zweite Druckwelle war noch viel stärker und die Decke krachte ein”, schilderte Wang Yongyong dem Webportal Sina.

Gewaltiger Feuerball, heftige Druckwelle

Auf Videos in sozialen Netzwerken war ein gewaltiger, pilzförmiger Feuerball zu sehen. Auch Fotos von blutverschmierten Menschen, die auf der Straße lagen und Fotos von beschädigte Gebäude wurden in sozialen Netzwerken gepostet. Andere Bilder zeigten eine riesige Rauchwolke, die über dem Hafenareal der Stadt aufstieg. Augenzeugen berichteten Staatsmedien von einer heftigen Druckwelle nach der Explosion, die zahlreiche Fenster zerstörte und Türen aus den Angeln riss. Zahlreiche Menschen seien durch Glasscherben und andere umherfliegende Teile verletzt worden.

“Dann gab es einen großen Knall, das ganze Haus wackelte”

“Ich habe Fernsehen geguckt und plötzlich draußen rotes Licht schimmern gesehen. Dann gab es einen großen Knall und das ganze Haus wackelte. Ich war geschockt und konnte mich nicht bewegen. Mein Vater kam ins Zimmer und zog mich auf die Straße”, sagte die 21-Jährige Studentin Liu, die in unmittelbarer Nähe des Hafens wohnt, der dpa. “Zum Glück ist meine Familie in Sicherheit. Ich fühle mich wie ein zweites Mal geboren.”

Laut Berichten von Staatsmedien ist das Feuer mittlerweile unter Kontrolle, aber noch immer nicht komplett gelöscht. 100 Löschfahrzeuge seien im Einsatz.

Ausmaß der Zerstörung noch unklar

Auch am Tag danach war das Ausmaß der Zerstörung und der Gefahren noch unklar. In den frühen Morgenstunden war die Konzentration von Chemikalien in der Luft so schlimm, dass den Menschen laut Staatsfernsehen die Augen tränten. Feuerwehrleute fühlten sich unwohl. Aus dem nur eine gute Autostunde entfernt gelegenen Peking wurde ein 214-köpfiges Spezialteam der Volksbefreiungsarmee für biologische, chemische oder nukleare Unfälle mobilisiert, berichtete der Staatssender. Auch wurden wohl weitere Explosionen befürchtet, weshalb die Bergungsarbeiten zumindest vorübergehend ruhten.

Opferzahl dürfte noch steigen

Zudem wurden die Informationen über das Unglück stark eingeschränkt. Chinesische Medien durften nur noch Berichte der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua weitergeben und wurden angewiesen, nicht selbst zu recherchieren. Da hatte die “Beijing News” aber schon von 42 Leichen allein im nächstgelegenen Taida Hospital berichtet – ein Zeichen, dass die Zahl der Toten zumindest bis dahin schon höher war als offiziell angegeben. Insgesamt 39 Krankenhäuser behandeln Opfer. Hunderte sind verletzt, davon Dutzende schwer.

Am Nachmittag stellen sich Behördenvertreter vor die Kameras, nennen neue Opferzahlen. “Wir sind sehr unglücklich über diesen Zwischenfall”, sagt Zhang Yong, Distriktchef von Binhai. Er lobt die Feuerwehrleute: “Sie riskieren ihr Leben.” Vor allem stehen die Anstrengungen der Behörden im Vordergrund. Wie viele Helfer, Ärzte und Schwestern im Einsatz seien, wie viele Feuerwehrwagen – und wie viele Notunterkünfte für Obdachlose geschaffen worden seien. Auch sei die Schadstoffbelastung “normal”, wird beteuert.

Ursache für Unglück noch unklar

Hinweise auf eine Ursache des Feuers fehlten zunächst. In einer Rede an die Menschen von Tianjin kündigte Chinas Präsident Xi Jinping an, das Unglück werde “genau untersucht”. Die Verantwortlichen würden “streng bestraft”. Hunderte Menschen haben sich laut Staatsmedien spontan zum Blutspenden gemeldet.

Nachdem Präsident Xi Jinping und Regierungschef Li Keqiang “umfassende Anstrengungen” gefordert hatten, will die allmächtige Partei dem Volk wie immer nach solchen Katastrophen in China die Botschaft vermitteln: Wir haben die Situation im Griff, wir tun etwas. Das Leid, der Tod, die Zerstörung oder die Ursachen und Verantwortlichkeiten für das Unglück treten darüber leicht in den Hintergrund. Während über dem Binhai-Distrikts am Abend weiter die Rauchwolken in den Himmel steigen, werden aber landesweit schon neue Sicherheitsinspektionen in Lagerhäusern angeordnet.

(APA, DPA)

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