"Töte sie einfach" - Flüchtlinge in Libyen sind Willkür ausgeliefert

Kahul wollte illegale Migranten aus dem Nachbarland zurückschicken. Statt ihm zu helfen, habe der Botschafter gesagt: “Töte sie einfach, Bruder. Töte sie.”
Es sind die Ärmsten der Armen, die hier am Rand der westlibyschen Stadt Misrata in einer alten Schule untergebracht sind. Hinter Gittern, wie in einem Gefängnis. Sie sind illegal nach Libyen gereist. Viele wollten Arbeit in dem ölreichen Land finden. Andere sagen nur: “Europa”. Und es hört sich an, als meinten sie das Paradies. Im Krisenland Libyen, weggesperrt und von ihren Regierungen vergessen, sind sie so weit davon entfernt wie niemals zuvor.
“Ich will nicht jung sterben”
Sieben Tage verbrachte die Nigerianerin Bukky Nofisaz in einem Auto, um nach Nordafrika zu kommen; ins tief gespaltene Libyen, wo es Schlepper wegen konkurrierender Regierungen und einem Chaos in Zuständigkeiten leicht haben. Von hier aus machen sich die meisten Flüchtlinge auf die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer. In wackeligen, schrottreifen Booten.
Nofisaz hatte eigentlich auch vor, nach Europa überzusetzen. “Aber ich traue mich nicht auf eines der Schiffe. Ich will nicht jung sterben”, sagt die schmale 26-Jährige. Also arbeitete sie wie Zehntausende andere Migranten in Misrata, dem Handelszentrum Libyens. Sie putzte, bekam dafür etwas mehr als 100 Euro im Monat. Und schlief mit ihrem Mann in einer Hütte.
Bis zu der Nacht, als die Polizei an ihre Tür hämmerte. Wo ihr Mann sei. Nicht da, antwortete die Migrantin. Sie erzählt, die Sicherheitskräfte hätten ihr alles weggenommen. Den Pass, das Handy und ihr Geld. Sie hätten sie geschlagen, erzählt die Nigerianerin. Andere Frauen berichten, auf ihrem Weg nach Libyen vergewaltigt worden zu sein.
Anarchie und Willkür ausgeliefert
Die Flüchtlinge – fast alle kommen sie aus Afrika – sind der Anarchie und Willkür ausgeliefert. Nofisaz sitzt nun auf einer dünnen Matratze an einer kahlen Wand, in einem Raum mit mehr als 20 anderen Frauen. Sie weiß nicht, was sie tun soll. Außer warten. Wenn sie Durst habe, trinke sie das Wasser aus der Toilette, sagt sie.
Währenddessen ist ein Lastwagen in der Mittagshitze vor dem Gebäude vorgefahren. Auf Hunderten Schaumstoffmatratzen steht “UKAID”, britische Entwicklungshilfe. Ein Mitarbeiter der Internationalen Organisation für Migration (IOM) beaufsichtigt die Lieferung. Es fehle den Flüchtlingen an allem, sagt er. Vor allem Kleidung und Hygiene-Artikel seien knapp.
Viele wollen nur noch nach Hause
In einem Schlafraum der Männer hängt ein Poster mit einer Zahnputz-Anleitung. Aber nicht einmal alle Eingesperrten haben Zahnbürsten. Viele hier sagen, sie wollten nur noch zurück nach Hause. Nach Ghana, Niger oder Eritrea. Der Traum von Europa scheint erloschen. Beim Alptraum Libyen hoffen sie auf ein schnelles Erwachen.
“Aber ihre Regierungen scheren sich einen Dreck um sie”, sagt der IOM-Mann. Und so werden die Flüchtlinge zum Spielball zwischen politischen Interessen, gewalttätigen Kriminellen und der Ignoranz ihrer eigenen Heimatländer. Erst einmal in diesem Jahr konnten illegal Eingereiste mit einem Flugzeug in ihre Heimatländer zurückgebracht werden, sagt Mohammed Kahul.
Hunderttausende warten auf Überfahrt
Wie viele Migranten in Libyen tatsächlich auf eines der Bote nach Europa steigen wollen, bleibt ungewiss. Doch die Zahlen, die nördlich des Mittelmeers gehandelt werden, Zahlen von Hundertausenden, die bereits an der Küste auf die nächste Überfahrt warten, werden in Misrata als übertrieben angesehen.
Dies verbessere aber nicht die desaströsen Bedingungen im Land, sagt Mahul. Maßnahmen gegen illegal Eingereiste stehen auf der Prioritätenliste hinter dem Kampf gegen Jihadisten und einer Einigung in dem geteilten Land.
Einer der Vertreter dieses gespaltenen Libyens besuchte vor einigen Monaten die alte Flüchtlings-Unterkunft in Misrata. Drei Stunden habe Khalifa al-Ghweil, der Ministerpräsident der islamistischen Regierung in Tripolis, in dem heruntergekommenen Gebäude verbracht, erzählt Kahul. Danach habe er geseufzt: “Oh, wo ist nur die Regierung.”
