Swetlana Tichanowskaja wird am Dienstag in Wien bei einem Symposium des österreichischen Außenministeriums über Menschenrechtsverletzungen in ihrer Heimat referieren, denen vor allem die mehr als 1.500 politischen Gefangenen des Lukaschenko-Regimes ausgesetzt sind. "Wenn du nicht an dich erinnerst, wird alles sehr schnell vergessen", sagte sie am Montag in einem Gespräch mit der APA, bei dem sie auch Wünsche an Österreich artikulierte.
Tichanowskaja: "Einzige Werkzeug, das Regime hat"
"Wir verstehen, dass es der Bevölkerung (in Belarus, Anm.) zunehmend schlechter geht, weil Druck auf Menschen, weil Repressionen das einzige Werkzeug sind, das dieses Regime hat", erläuterte die im litauischen Exil lebende Oppositionspolitikerin. Gleichzeitig habe aber auch das Regime als Folge von Sanktionen mit Problemen zu kämpfen, wobei die westlichen Staaten jedoch noch nicht alle verfügbaren Mechanismen ganz ausgeschöpft hätten.
"Ungeachtet von Sanktionen betreibt das Regime weiter Handel mit Europa - es gibt viele Schlupflöcher, die bisher nicht geschlossen wurde", klagte Tichanowskaja und nannte etwa Umetikettierungen von mit EU-Sanktionen belegten belarussischen Waren, die mit vermeintlicher Herkunft etwa aus Kasachstan in die Europäische Union gelangten. Die Oppositionelle kritisierte aber auch, dass viele Regime-nahe Richter, Propagandisten oder Oligarchen nicht mit Sanktionen belegt worden sind.
"Das bedeutet, die Geschäftstätigkeit einzustellen"
Keine Freude hat die Oppositionspolitikerin mit der aktuellen Präsenz internationaler Konzerne: Sie verstehe zwar, dass dies mit riesigen Kosten verbunden sei, weiterhin in Belarus vertretene österreichische Firmen wie die belarussische Priorbank, eine Tochter der Raiffeisen Bank International (RBI), sollten jedoch "ihre Zusammenarbeit mit dem Regime beenden". "Das bedeutet, die Geschäftstätigkeit einzustellen", erläuterte sie auf Nachfrage. Österreich sei doch eine auf Menschenrechten ausgerichtete Gesellschaft und österreichische Firmen sollten Werte und nicht Profite in den Vordergrund stellen, argumentierte sie. Schließlich würden Tausende Menschen Opfer von Repressionen werden und die politisch motivierte Verfolgung höre nicht auf.
Abgesehen von humanitären Initiativen für politische Häftlinge und der Unterstützung für die belarussische Zivilgesellschaft sowie bei internationalen strafrechtlichen Ermittlungen gegen Aleksandr Lukaschenko und Co. erhofft sich Tichanowskaja derzeit österreichische Unterstützung vor allem im Kampf gegen eine angekündigte Stationierung russischer Atomwaffen auf belarussischem Territorium. Sie erwarte sich hier eine laute Stimme von Österreich, aber auch die Bereitschaft, diesbezüglich zu handeln und etwa weitere Sanktionen zu verhängen, erklärte Tichanowskaja. Die Stationierung von Kernwaffen sei eine Karte, die Putin ausspiele, um eine russische Präsenz in Belarus zu verankern. "Selbst nach einem politischen Wandel hat Russland dann eine Ausrede für eine ständige Präsenz im Land."
Tichanowskaja zu Szenario Lukaschenko-Abtritt
Bei einem Abtritt von Aleksandr Lukaschenko würden indes mit einem etwaigen Nachfolger oder einer etwaigen Nachfolgerin sofort Kontakte aufgenommen werden, versicherte die Politikerin. "Wir haben immer erklärt, dass unsere Aufgabe darin besteht, die Krise in Belarus auf friedlichem Weg und mit Verhandlungen zu lösen", erklärte sie. Deshalb würde man bereits jetzt demokratische Verbündete ersuchen, Strategien für einen solchen Fall zu erstellen, damit diese als Mediatoren auftreten oder Abmachungen für faire Neuwahlen treffen würden.
In Bezug auf den Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine ließ Tichanowskaja auch am Montag keinen Zweifel daran, eindeutig auf der ukrainischen Seite zu stehen. Sie wiederholte auch, dass gerade die öffentliche Meinung der Belarussinnen und Belarussen Lukaschenko keine Möglichkeit gebe, den südlichen Nachbarn anzugreifen. Er könnte sich nicht sicher sein, wie die belarussische Armee bei einem Angriffsbefehl reagieren würde. "Die Schicksale von Belarus und der Ukraine stehen in Verbindung, beide Staaten werden von Russland nicht als eigenständig gesehen", betonte sie.
Tichanowskaja sieht "Fehleinschätzung"
Tichanowskaja beschrieb gleichzeitig ihre Beziehungen zum offiziellen Kiew als eher schwierig. Es habe zwar bei der Verleihung des Karlspreises im Mai eine kurze Begegnung und einen herzlichen Händedruck mit dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj in Aachen gegeben. Zu offiziellen Treffen mit ukrainischen Spitzenvertretern sei es bisher jedoch nie gekommen. "Die Regierung der Ukraine hatte Befürchtungen, dass Kontakte zu den demokratischen Kräften Lukaschenko zu einem größeren Angriff provozieren könnte. Meines Erachtens war das eine Fehleinschätzung", sagte sie.
Das Gespräch führte Herwig G. Höller/APA
(APA/Red)