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Terrorismus: Weitere Maßnahmen zur Deradikalisierung in Justizanstalten nötig

Deradikalisierung in Justizanstalten: Mehr Betreuung gefragt
Deradikalisierung in Justizanstalten: Mehr Betreuung gefragt ©APA (Sujet)
Der Status Quo in heimischen Gefängnissen: Derzeit befinden sich in Österreich 68 Menschen wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in Haft. 21 von ihnen verbüßen Haftstrafen, 47 befinden sich in U-Haft.
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Das sagte Franz Higatsberger von der Generaldirektion für den Strafvollzug am Dienstag anlässlich der Präsentation einer Studie, in der die Maßnahmen zur Deradikalisierung in Haft untersucht wurden.

Task Force “De-Radikalisierung”

Das Justizministerium hat 2015 eine Task Force “De-Radikalisierung” eingesetzt, die eine Reihe von Maßnahmen in den Bereichen Sicherheit, Betreuung wegen Terrordelikten inhaftierter Menschen sowie Fortbildung der Justizwache erarbeitet hat. “Wir haben die Probleme und das Gefährdungspotenzial bisher durchaus beherrschen können”, sagte Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) vor Journalisten in Wien. “Die Studie zeigt, dass viele Maßnahmen richtig waren und dass einiges noch zu tun bleibt.” Allein aus der in die Höhe geschossenen Zahl der (mutmaßlichen) Jihadisten in Haft lässt sich der zunehmende Bedarf ablesen: Vor einem, eineinhalb Jahren seien es noch 25 gewesen, sagte Brandstetter.

Interviews für Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie

Für die vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) durchgeführte begleitende Studie wurden mehr als 100 Personen interviewt – neben Mitarbeitern der Justizanstalten 39 Jihadisten, unter ihnen vier Frauen. Das Spektrum der Inhaftierten ist breit. “‘Den’ Jihadisten gibt es nicht”, sagte Veronika Hofinger vom IRKS, welche die Studie gemeinsam mit Thomas Schmidinger verfasst hat. Sie hat mit ihrem Kollegen eine schwangere Frau, die auf ein besseres Leben unter der Scharia in ihrem “Sehnsuchtsland” Syrien hoffte, ebenso befragt wie Jugendliche, die ihre Sympathie für den IS auf Facebook kundtaten, und salafistische Prediger.

“Die meisten haben sich nicht im Gefängnis radikalisiert”, stellte die Soziologin klar. Und im Unterschied zu Frankreich, wo mehrheitlich Kleinkriminelle von Jihadisten rekrutiert wurden, fanden sich in heimischen Justizanstalten kaum vorbestrafte Terror-Verdächtige. Relativ gut funktionieren deradikalisierende Maßnahmen – dazu gehört Anti-Gewalt-Training ebenso wie die Vermittlung politischer Bildung und Interventionsgespräche durch Experten der NGO Derad – bei marginalisierten Jugendlichen. “Sie sind leicht beeinflussbar, haben Respekt vor Derad und sind keine sattelfesten Jihadisten”, sagte Hofinger. Schwieriger sei es bei Predigern und tschetschenischen Nationalisten. “Da braucht es weitere Angebote.”

Einzelhaft: Sinnvoll, um Radikalisierung von Mithäftlingen zu verhindern?

Mehrere Probleme sind derzeit ungelöst. Dazu gehört die Frage der Sinnhaftigkeit von Einzelhaft. Sie soll die Radikalisierung von Mithäftlingen verhindern, kann nach Überzeugung der Studienautoren aber eine weitere Radikalisierung bewirken – dann nämlich, wenn ein Insasse die U-Haft-Zeit in der Zelle allein damit verbringt, den Koran zu lesen. Thomas Schmidinger warnte vor einem weiteren potenziellen Problem: Ein prominenter Prediger, der jahrelang in einer Einzelzelle lebt, könnte bei seinen Anhängern “durchaus in eine Art Märtyrerstatus hineinfallen”.

Maßnahmen zur Deradikalisierung sollten nach Ansicht der Experten am besten mit Antritt der U-Haft beginnen – was aber wegen unterschiedlicher Interessen von Staatsanwaltschaften und/oder Verfassungsschutz fallweise verhindert wird. “Da gibt es keine einfachen Lösungen”, sagte Hofinger.

“Deradikalisierung braucht mehr Zeit als die Haftdauer”

“Es ist eine Illusion zu glauben, jemand kommt als Jihadist in Haft und als liberaler Demokrat heraus”, betonte Schmidinger, Politikwissenschafter und Islam-Experte. “Deradikalisierung braucht mehr Zeit als die Haftdauer.” Zumal die Justiz sich häufig auch mit dem Problem der fehlenden Strafeinsicht herumschlagen muss. Denn der ausschlaggebende “Terror-Paragraf” 278b deckt ein sehr breites Feld ab, was dazu führen kann, dass sich die Verdächtigen oder Verurteilten zu Unrecht inhaftiert fühlen.

Sowohl Insassen als auch Leitungen der Justizanstalten beklagten in den Interviews ein mangelndes Angebot an Seelsorge. Diesbezüglich sei man permanent im Gespräch mit Vertretern der Religionsgemeinschaften, speziell mit der IGGiÖ (Islamischen Glaubensgemeinschaft), sagte Brandstetter. In deren Hand liege es, für ausreichend Kapazitäten zu sorgen. “Wir können leider keine Planstellen zur Verfügung stellen”, sagte der Justizminister unter Verweis auf die Zuständigkeit des Bundeskanzleramts.

Ausgebaut werden solle die Arbeit von Derad, in Abhängigkeit allerdings von den Kapazitäten der auf Prävention und Deradikalisierung spezialisierten Organisation. Außerdem werde verstärkt nach Justizwachepersonal mit Migrationshintergrund gesucht, sagte Higatsberger.

>>Hier finden Sie die Studie zum Download

(apa/red)

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