AA

Terror und Amokläufe: Wie Medienberichte Nachahmungstaten verbeugen könnten

Niedergelegte Blumen nach dem Amoklauf von München.
Niedergelegte Blumen nach dem Amoklauf von München. ©AFP PHOTO / Christof Stache
Je nachdem, wie über Terrorattacken oder Amokläufe berichtet wird, lässt sich in der Folge eine Zu- oder Abnahme ähnlicher Taten beobachten, postuliert der Wiener Sozialmediziner Thomas Niederkrotenthaler.

Im Jahr 2010 postulierte der Wiener Sozialmediziner Thomas Niederkrotenthaler einen leicht positiven Effekt von zurückhaltender Berichterstattung nach Suiziden bezüglich möglicher Nachahmetaten. Wie die deutsche Wochenzeitschrift Die Zeit in ihrer nächsten Ausgabe berichtet, meint der Sozialmediziner, dass es Hinweise auf einen solchen präventiven Effekt auch für Amokläufe geben könnte.

Medienberichte über verhinderte Amokläufe könnten möglicherweise helfen, weiteren Amokläufen vorzubeugen. Dies legten Forschungsergebnisse des Sozialmediziners nahe, hieß es am Mittwoch in einer Vorabmeldung der Wochenzeitschrift. “Wir erarbeiten derzeit Medienempfehlungen zur Berichterstattung über Amoktaten”, wurde Niederkrotenthaler (MedUni Wien) zitiert.

Der “Werther-Effekt”: Selbstmord-Nachahmungen

Der Hintergrund ist schon einige Jahre alt. Niederkrotenthaler und seine Co-Autoren hatten im Jahr 2010 eine Studie zur Auswirkung von 500 Berichten über Suizide in österreichischen Zeitungen innerhalb von sechs Monaten aus dem Jahr 2005 untersucht. Demnach führten weniger zurückhaltende Berichte (“Suizid-Welle”, “Suizid-Epidemie”, epidemiologische Daten) eher zu Imitationssuiziden. Das wird seit vielen Jahren als “Werther-Effekt” bezeichnet, der offenbar kleines bis mittleres Ausmaß haben kann. Der Name folgt dem Briefroman “Die Leiden des jungen Werthers” von Johann Wolfgang von Goethe. Als das Werk 1774 erschien, kam es zu einer Reihe von Imitationssuiziden.

In etwa jener Stärke – aber im positiven Sinn – zeige sich nach Artikeln, welche eine positive Bewältigung suizidaler Krisen darstellten, auch ein schützender Effekt, postulierten Niederkrotenthaler in ihrer Studie. Die Suizidrate könne durch zurückhaltende, positiv ausgerichtete Berichterstattung etwas sinken. Das nannten die Autoren “Papageno-Effekt”.

Änderung im Umgang mit U-Bahn-Selbstmorden

Wie auch immer die Benennung solcher möglicher Auswirkungen der Medienberichterstattung über Gewalttaten erfolgt, die Sache erinnert an einen Alarm, den im März 1987 der damalige Chefarzt der Psychosozialen Dienste in Wien (PSD), Stephan Rudas nach vermehrten Suiziden in der Wiener U-Bahn schlug. Seine damalige Bitte an die Journalisten: “Schreibt nicht von Selbstmorden, ohne auf die bestehenden Hilfsangebote für Lebensmüde hinzuweisen.” Rudas hatte damals – wie er zugab – schlicht und einfach Angst: “Noch ist es zu keiner Häufung von Selbstmorden in Wien gekommen. Doch es besteht die Gefahr, dass das Springen vor die U-Bahn zu einer ‘Mode’ wird. Etwas ähnliches hatten wir vor rund 15 Jahren mit Selbstverbrennungen und vorher damit, dass sich die Leute in die Luft sprengten. So eine ‘Mode’ darf nicht noch einmal entstehen.”

Der Appell wirkte, wie man später in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet nachlesen konnte. Die Zahl der Suizide in der Wiener U-Bahn ging durch die damals zum größten Teil überhaupt unterbleibende Berichterstattung in den österreichischen Medien über solche Vorfälle deutlich zurück.

Amok und Terror: Mediale (Selbst-)inszenierung verhindern

Auf den Einfluss und die teilweise durch reißerische Darstellungen und Online-Blogging beziehungsweise Ticker-Journalismus entstehende Medienkomplizenschaft haben erst vor kurzem in einem Buch deutsche Experten hingewiesen. Ob Amok oder Terror, immer stecke dahinter auch eine mediale (Selbst-)Inszenierung.

Die Selbstinszenierung der Täter laufe in Richtung “Unsterblichkeit”. Beim Terror könne der Journalismus im Propagandaeffekt zum Komplizen werden, stellten der deutsche Kriminologe Frank J. Robertz und der Kommunikationswissenschafter Robert Kahr als Herausgeber einer umfassenden Darstellung zu diesem Thema fest (“Die mediale Inszenierung von Amok und Terrorismus – Zur medienpsychologischen Wirkung des Journalismus bei exzessiver Gewalt”; Springer Fachmedien Wiesbaden).

Empfehlungen zur Berichterstattung bei Terror um Amokläufen

Schulamokläufer und Terroristen sichern sich durch das kalkulierte Ausüben von Gewalt einen Platz in den Schlagzeilen der Presse. Sie folgen damit einer bewährten Kommunikationsstrategie, die menschenverachtend und gleichermaßen durchschaubar ist. Dieses Kalkül der Täter geht insbesondere dann auf, wenn Medien destruktive Botschaften der Täter ungefiltert weitertragen. Auf diese Weise verbreiten sie Angst in der Gesellschaft, belasten die Opfer und liefern im schlimmsten Fall eine Inspiration für Nachahmer”, heißt es in dem Band.

Dort finden sich ganz einfache Empfehlungen für die Medienwelt (“Richte keinen Schaden an” als Übertitel): Keine vereinfachenden Erklärungen für Handlungsmotivationen anbieten. Auf die Folgen der Tat fokussieren. Keine Romantisierungen verwenden und keine Heldengeschichten erzählen. Den Tathergang nicht zu konkret aufzeigen. Täterfantasien und emotionales Bildmaterial nicht zu anschaulich darstellen. Keine sensiblen Informationen preisgeben. Auswege (für Amokhandlungen; Anm.) aufzeigen. Auf die Wortwahl achten (Täter sind keine “Monster” etc.). Quellen prüfen und sich nicht instrumentalisieren lassen. Opfer schützen. Sich selbst als Journalist schützen.

(APA, Red.)

  • VIENNA.AT
  • Wien
  • Terror und Amokläufe: Wie Medienberichte Nachahmungstaten verbeugen könnten
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen