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T: Erdogan sieht EU-Beitritts-Kriterien erfüllt

Kurz vor einem Treffen der EU-Außenminister in Brüssel hat der türkische Ministerpräsident Erdogan bekräftigt, dass Verhandlungen über einen EU-Beitritt nur mit einer Aufnahme seines Landes in die EU enden könnten.

Die Türkei habe die von ihr verlangten politischen Kriterien erfüllt, sagte Erdogan in einem Interview der „Passauer Neuen Presse“ (Montagausgabe). Würden nun seitens der EU neue Probleme entdeckt, dann wäre das so, als wenn man während eines bereits laufenden Fußballspiels die Spielregeln änderte, sagte der Regierungschef.

Von der EU verlange man nun einen Zeitplan, wie lange die Verhandlungen dauern sollen. Dieser Zeitplan dürfe nicht abhängig sein von einer erneuten, späteren Entscheidung.

Die EU-Außenminister wollen an diesem Montag das Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag vorbereiten. Im Mittelpunkt der Beratungen steht der für den Gipfel geplante Beschluss über den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

Türkischer Justizminister: Wir sind nicht naiv

Der türkische Justizminister und Regierungssprecher Cemil Cicek hat die EU davor gewarnt, Ankara zusätzliche Aufnahmebedingungen zu stellen. Die Türkei sei nicht so „naiv, dass sie zu allem was Brüssel verlange „Ja“ sagen werde, sagte Cicek am Wochenende bei einem Seminar in Ankara nach Angaben der türkischen Zeitung „Radikal“, wie die Online-Ausgabe von „Turkish Daily News“ am Montag berichtete.

„Wir messen den türkischen EU-Bestrebungen großes Gewicht bei, wir sind sehr erwartungsvoll, aber die Türkei wird nicht zu allem bedingungslos ’Ja’ sagen“, betonte der Minister. „Die türkische Nation, die türkische Republik, die Regierung und das Parlament mit der Regierungspartei und Opposition haben ihre Versprechen gehalten, haben das Notwendige getan, und warten jetzt auf den 17. Dezember“, sagte Cicek in Hinblick auf den bevorstehenden EU-Gipfel, bei dem über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen entschieden werden soll.

Der niederländische Botschafter in Ankara, Sjoerd Gosses, sagte als Vertreter der EU-Präsidentschaft, er sei optimistisch hinsichtlich des 17.Dezembers.

Eine Entscheidung der EU für Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wird nach den Worten von Justizminister Cemil Cicek in Ankara eine neue Ära der Reformpolitik anstoßen. „Wenn am 17. Dezember der Verhandlungs-Prozess beginnt, wird die Türkei noch viel mehr tun müssen als bisher schon“, sagte Cicek laut einer Meldung der pro-europäischen Tageszeitung „Radikal“ vom Montag. Das betreffe unter anderem die türkische Verfassung, die mit der neuen EU-Verfassung in Einklang gebracht werden müsse, sagte Cicek. „Ob wir wollen oder nicht, werden auch Verfassungsänderungen auf die Tagesordnung kommen.“

Die derzeitige türkische Verfassung stammt noch aus der Zeit des letzten Militärputsches 1980. Trotz vieler Verfassungsänderungen in den vergangenen Jahren fordern Kritiker die Ausarbeitung eines völlig neuen Grundgesetzes. Die Türkei hofft auf den Beginn von Beitrittsgesprächen mit der EU im kommenden Jahr. Die EU will bei einem Gipfeltreffen an diesem Freitag in Brüssel darüber entscheiden.

Internationale Pressestimmen zu EU/Türkei

Die deutsche Zeitung „Die Welt“ blickt kritisch auf die Bereitschaft der Türkei, sich den Forderungen der EU anzupasssen:

„Schon der Prozeß der Verhandlungen wird Ankara vor Augen führen, wie sehr die Türkei umgekrempelt werden muß. Diese Einsicht fehlt. Erdogan wähnt sich bereits am Ziel, wo die EU gerade erst ein Startsignal aussendet. Brüssel verlangt, daß die Türkei Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft erfüllt. Dazu gehören Religionsfreiheit, Folterverbot, Minderheitenschutz, Pressefreiheit. An allem hapert es im Land. Genausowenig mit EU-Ansprüchen ist es zu vereinbaren, daß sich Ankara bis heute weigert, das EU-Land Zypern anzuerkennen, daß Tausende von türkischen Asylbewerbern in der EU als politisch Verfolgte Zuflucht finden, daß der Völkermord an den Armeniern ein Tabuthema ist. Das sind zahlreiche Belege dafür, daß mit der Türkei über manches, aber gewiß nicht über einen Beitritt verhandelt werden sollte.“ Die konservative „Times“ (London) schreibt am Montag zum problematischen Verhältnis des Westens zur arabischen Welt vor dem Hintergrund der Ministerkonferenz westlicher und islamischer Staaten vom Wochenende in Rabat:

“(EU-Kommissar Frits) Bolkestein und andere versuchen, den Beitritt der Türkei zur EU auf unbestimmte Zeit zu verschieben, doch eine Koexistenz von Demokratie und Islam besteht bereits, nicht nur in Europa und der Türkei, sondern auch in Teilen Indiens, Indonesiens und anderswo. Das Versagen der Demokratie, in arabischen Schlüsselländern Fuß zu fassen, ist nicht ein Zeichen der Unvereinbarkeit, aber eines für unerledigte Arbeit und für die Dauerhaftigkeit von Diktaturen. Europa sollte die Gelegenheit Türkei nutzen, um der Welt das wahre Ausmaß seiner Toleranz zu zeigen – und es sollte sich fragen, warum Washington und nicht Europa die Konferenz in Rabat konzipierte.“

Die konservative französische Tageszeitung „Le Figaro“ (Paris) meint am Montag zu einer möglichen Mitgliedschaft der Türkei in der EU:

„Im Kern geht es doch darum, wie Europa beschaffen sein soll. Wie genau stellt man sich die Zukunft vor? Denn heute wie früher steht im Mittelpunkt, wie dieses Projekt Europa klar definiert und organisiert werden kann. Und das gilt umso mehr nach der jüngsten EU-Erweiterung, die in den Köpfen und bei den Inhalten der europäischen Idee nur noch mehr Verwirrung gestiftet hat. Man wird sich nicht mit der dauernden Flucht nach vorn begnügen können, ganz gleich, ob dies für die heute aktuelle Türkei-Frage gilt oder morgen dann für andere Bittsteller.“

Zur Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei beim anstehenden EU- Gipfeltreffen schreibt die linksliberale spanische Zeitung „El Paós“ (Madrid) am Montag:

„Die EU sollte für eine Aufnahme der Türkei strengere Bedingungen stellen als für die Beitritte anderer Staaten in der Vergangenheit. Sie muss Ankara davon überzeugen, dass es sich hierbei um einen Sonderfall handelt und daher besondere Formeln erforderlich sind. Aber die EU soll auch klar machen, dass die Türkei, wenn sie diese Kriterien – in 12, 15 oder 20 Jahren – erfüllt, ein Mitglied mit allen Rechten wird. Brüssel und Ankara sollten mit vereinten Kräften den Türken erläutern, weshalb ein EU-Beitritt ihres Landes ein besonderer Fall ist. Die Ängste der Europäer sind verständlich. Aber im Laufe der Beitrittsverhandlungen wird man sehen, wie man diese Befürchtungen überwinden kann.“

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