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Stunde der Wahrheit im Vatikan: "Vatileaks"-Prozess beginnt

Kammerdiener des Papstes (vorne links) muss sich vor Richter-Trio verantworten
Kammerdiener des Papstes (vorne links) muss sich vor Richter-Trio verantworten ©EPA/ Ettore Ferrari
53 Tage lang war er in U-Haft, dann unter Hausarrest: Jetzt schlägt für Paolo Gabriele die Stunde der Wahrheit.

Am Samstag – vier Monate nach seiner Festnahme – beginnt der Prozess gegen den Kammerdiener von Benedikt XVI., der sich wegen des Vorwurfs des schweren Diebstahls von Akten des Heiligen Vaters verantworten muss. Dabei handelt es sich um einen der vermutlich spektakulärsten Prozesse in der ganzen Geschichte des Vatikans. Bisher war noch nie ein enger Mitarbeiter des Papstes mit derart gravierenden Vorwürfen konfrontiert worden.Dem im Mai festgenommenen und inzwischen in den Hausarrest entlassenen Ex-Diener Benedikts wird vorgeworfen, vertrauliche Dokumente vom päpstlichen Schreibtisch entwendet zu haben, von denen einige brisante in die Medien gelangten. Darunter waren Unterlagen zu einem angeblichen Mordkomplott gegen den Papst und zu umstrittenen Geschäften der Vatikan-Bank IOR. Im Zuge der Ermittlungen wurden bei Gabriele nicht nur Dokumente sichergestellt. Auch ein auf Benedikt ausgestellter Scheck über 100.000 Euro, sowie weitere an den Papst gerichtete Geschenke wurden in der Wohnung des Kammerdieners gefunden.

Auch Informatiker Scopelliti vor Gericht

Mit Gabriele muss sich ein zweiter Angestellter, Claudio Scopelliti, verantworten, der als Informatiker für das Staatssekretariat des Vatikans gearbeitet hat. Ihm wird Beihilfe vorgeworfen. Noch unklar sind die Hintergründe, die den seit 20 Jahren im Staatssekretariat tätigen Gabriele zur Entwendung der vertraulichen Papst-Dokumente bewogen haben. Laut Ermittlungen hatte der frühere päpstliche Kammerdiener dem italienischen Journalisten Gianluigi Nuzzi zahlreiche kopierte Briefe und Geheimdokumente aus der Wohnung des Papstes weitergereicht. Als die Dokumente veröffentlicht wurden, spekulierten Beobachter, innervatikanische Flügelkämpfe seien die wahre Ursache für den Vertrauensbruch gewesen, eines der Angriffsziele sei Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Nuzzis Buch “Sua Santità” sorgte in den vergangenen Monaten weltweit für Schlagzeilen.

Gabriele und die “Mauer des Schweigens”

In einem im Februar ausgestrahlten TV-Interview behauptete der unkenntlich gemachte und mit verzerrter Stimme präsentierte Gabriele, dass es etwa 20 Personen im Vatikan gebe, die wie er zu Enthüllungen bereit seien, um Transparenz zu sichern. Als Motivation für sein Handeln nannte Gabriele Wut und Angst; es gebe im Vatikan eine Mauer des Schweigens. “Der Papst will für Sauberkeit sorgen, doch er stößt auf Schwierigkeiten”, sagte Gabriele. Diese Mauer des Schweigen lasse “die Wahrheit der Dinge nicht nach außen” dringen.

Der Prozess gegen Gabriele findet in einem kleinen Gerichtssaal hinter der Peterskirche statt. Das große Medieninteresse muss der Vatikan aus Platzgründen zügeln: Zu den Verhandlungen wird lediglich ein Pool aus acht Printmedien- und Agenturjournalisten zugelassen. Fotos oder TV-Bilder des Angeklagten im Gerichtssaal wird es dagegen nicht geben: Der Vatikan will weder Fotografen noch Kameraleute zulassen. Auch Audioaufzeichnungen sind nicht vorgesehen. Die geringe Zahl der zugelassenen Journalisten sorgte für Unmut unter den Medienvertretern.

Kammerdiener muss sich vor Richter-Trio verantworten

Ein Richter-Trio führt den Prozess. Neben dem Präsidenten des vatikanischen Gerichts, Giuseppe Dalla Torre, werden die Richter Paolo Papanti Pelletier und Venerando Marano Platz nehmen. Die Anklage vertritt der vatikanische Staatsanwalt Nicola Picardi, der die Ermittlungen geführt hat. Anwesend wird auch Untersuchungsrichter Piero Antonio Bonnet sein. Die Verteidigung Gabrieles wird vor Gericht die Anwältin Cristiana Arru übernehmen. Der zweite Anwalt Gabrieles, Carlo Fusco, hatte vor einigen Wochen auf die Verteidigung des Kammerdieners verzichtet. Der Prozess könnte sich über mehrere Wochen ausdehnen. Wie lange der Prozess genau dauern wird, ist noch unklar. Mehrere Zeugen müssen im Rahmen des Verfahrens vernommen werden. Ihre Namen wurden nicht bekanntgegeben. Gerüchten zufolge könnte der Prozess innerhalb der am 6. Oktober geplanten Bischofssynode in Rom enden. Wenn nicht, wird er während der Zeit der Synode ausgesetzt und später weitergeführt.

“Verbindungsmann des heiligen Geistes gegen das Böse”

Gabriele bezeichnete sich als “Verbindungsmann des heiligen Geistes gegen das Böse und die Korruption”, der die Kirche wieder auf den rechten Weg bringen will. Nicht ausgeschlossen wird, dass Gabrieles Rechtsanwältin auf seelische Probleme des Kammerdieners pochen will, um eine Strafreduzierung zu erhalten. Experten zufolge drohen dem Vater dreier Kinder bis zu sechs Jahre Haft. Der Papst könnte den Täter im Fall einer Verurteilung später aber jederzeit begnadigen. (APA)

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