AA

Streit um Reparationen: Athen fordert 332 Mrd. von Berlin - und droht mit Pfändung

Regierung in Athen fordert von Berlin Reparationen für Zweiten Weltkrieg. Im Bild: Finanzminister Schäuble und sein griechischer Kollege Varoufakis.
Regierung in Athen fordert von Berlin Reparationen für Zweiten Weltkrieg. Im Bild: Finanzminister Schäuble und sein griechischer Kollege Varoufakis. ©AP
Athen will offenbar alle Mittel einsetzen, um seinen Verbleib in der Eurozone und die weitere Finanzierung des pleitebedrohten Landes zu sichern. Jetzt kommen - wieder einmal - Reparationen aus dem Zweiten Weltkrieg ins Spiel. Es geht um mehr als 300 Milliarden Euro. Dabei verschärft das pleitegeplagte Griechenland den Ton und droht mit der Beschlagnahme deutschen Eigentums. Deutschland weist alle Forderungen entschieden zurück.
Totengräber oder Retter in Not?
Ringen in Brüssel geht weiter

Insider in Athen wussten es schon seit Wochen: Die neue Regierung will alles riskieren, um die weitere Finanzierung durch die Geldgeber zu sichern. Wieder einmal geht es um Forderungen nach Reparationen aus dem Zweiten Weltkrieg an Berlin.

Ein Parlamentsausschuss soll prüfen, wie hoch diese Reparationen sein sollen. Eine Idee von der Summe hat man schon: Nach griechischen Berechnungen geht es um bis zu 332 Milliarden Euro. Die Bundesregierung sieht die Entschädigungsfrage allerdings als erledigt an. Der Streit erreicht damit einen neuen Höhepunkt und birgt die Gefahr, einen tiefen Keil zwischen Athen und Berlin zu treiben.

Athen droht mit Pfändung deutscher Liegenschaften

Der griechische Justizminister droht damit, deutsche Liegenschaften in Griechenland zu pfänden, falls es zu keinem Ergebnis kommt. Es geht um das Goethe-Institut von Athen, das traditionsreiche Deutsche Archäologische Institut sowie die Deutschen Schulen in Athen und Thessaloniki.

Justizminister Paraskevopoulos erklärte sich am Mittwoch bereit, die Pfändung deutscher Immobilien in Griechenland zu erlauben, sollte es zu keiner Einigung mit Berlin über die Reparationsforderungen kommen. Die endgültige Entscheidung werde jedoch die Regierung unter Premier Alexis Tsipras treffen, hieß es.

Der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos während seiner Rede im Parlament. EPA
Der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos während seiner Rede im Parlament. EPA ©Der griechische Justizminister Nikos Paraskevopoulos während seiner Rede im Parlament. EPA

Reparationen und der deutsche Schuldenschnitt

Regierungschef Tsipras verband am Dienstag in seiner Rede vor dem Parlament die griechischen Reparationsforderungen mit der Haltung Berlins und den Schulden seines Landes wegen der Hilfsprogramme. Deutschland habe nach dem Ersten Weltkrieg schwere Lasten getragen. Das habe zum Nationalsozialismus geführt, so Tsipras. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei anders mit Deutschland umgegangen worden, dem Land sei unter die Arme gegriffen worden. Mit dem Schuldenschnitt von 1953 sei die Basis für den Aufschwung Deutschlands gelegt worden, führte Tsipras weiter aus – und griff damit direkt die griechische Forderung nach einem Schuldenschnitt auf. Die deutschen Regierungen sperrten sich aber mit “juristischen Tricks”, um nicht mit Athen über Reparationen zu reden, sagte er.

Jahrzehntelanger Streit um Reparationen

Das Thema Reparationen belastet die deutsch-griechischen Beziehungen seit Jahrzehnten. Am Dienstag hatte das griechische Parlament beschlossen, erneut Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg an Berlin zu prüfen. Dazu wurde ein Ausschuss aller Parteien einberufen. Die Debatte wurde vom Parlamentsfernsehen übertragen.

“Damit ehren wir alle Opfer des Zweiten Weltkrieges und des Nazismus (…) sowie des griechischen Widerstandes”, sagte Ministerpräsident Alexis Tsipras. “Wir vergessen nicht, dass das deutsche Volk auch unter den Nazis gelitten hat”, fügte der griechische Premier hinzu.

Der höchste Griechische Gerichtshof (Areopag) hatte im Jahre 2000 geurteilt, Griechenland dürfe deutsches Eigentum für Entschädigungen der Hinterbliebenen des Massakers von Distomo pfänden. In dem mittelgriechischen Ort hatte die Wehrmacht im Jahre 1944 ein Massaker mit 218 Opfern verübt. Vor dem Urteil hatte ein Landgericht in der Provinzstadt Livadeia den Hinterbliebenen der Opfer 28 Millionen Euro Entschädigung zugesprochen.

Knochen und Schädel im Ossarium von Distomo als eindringliche Erinnerung an das Nazi-Massaker von 1944, das 218 Menschen das Leben kostete. Archiv/ Yiorgos Karahalis
Knochen und Schädel im Ossarium von Distomo als eindringliche Erinnerung an das Nazi-Massaker von 1944, das 218 Menschen das Leben kostete. Archiv/ Yiorgos Karahalis ©Knochen und Schädel im Ossarium von Distomo als eindringliche Erinnerung an das Nazi-Massaker von 1944, das 218 Menschen das Leben kostete. Archiv/ Yiorgos Karahalis

Eine Pfändung des traditionsreichen Goethe Instituts wurde damals vom Justizminister gestoppt. Er berief sich auf einen Artikel des griechischen Strafrechts, wonach der Justizminister die Umsetzung von Gerichtsentscheidungen aufhalten kann, die die Beziehungen zu anderen Staaten gefährden könnten.

Von Splittern und Balken…

Zur Haltung des Bundesfinanzministers sagte Tsipras, ohne Wolfgang Schäuble beim Namen zu nennen: “Wir geben keinen Ethik-Unterricht, und wir akzeptieren auch keinen.” Griechenland werde alle seine Verpflichtungen erfüllen. Manche aber “ermahnen den Sünder mit erhobenem Zeigefinger”. Das erinnere ihn an Jesus, der sagte: “Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?”, fügte Tsipras hinzu.

Beobachter: Darauf zielt Syriza ab

Beobachter, die mit dem Jargon der regierenden Linkspartei Syriza vertraut sind, gehen von zwei angestrebten Zielen aus. Einerseits wolle Tsipras seinen linken Flügel zufriedenstellen, indem er das Thema Reparationen wiederöffnet. Wenn andere die Schuld daran haben, dass Griechenland da steht, wo es sich heute befindet, weil sie keine Reparationen gezahlt haben, dann könne das vom kleinen Mann leicht geschluckt werden.

Schuldenschnitt gegen Schuldenschnitt

Andererseits ziele Tsipras auf eine Art Tausch ab: Schuldenschnitt für Deutschland 1953 gegen einen Schuldenschnitt für Griechenland 2015. Aufschwung durch Wachstum in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg – Aufschwung für Griechenland nach den Fehlern in Zeiten des süßen Lebens der vergangenen Jahrzehnte. “Alles ganz einfach”, kommentierte ein griechischer Journalist hinter vorgehaltener Hand im Parlament.

Griechische Opposition warnt Tsipras

Die Opposition warnte Tsipras. Es sei nicht richtig, die “gerechte Forderung” nach Reparationen mit dem anderen Thema der aktuellen Finanzprobleme Griechenlands zu verbinden, sagte der Chef der Sozialisten im Parlament, Evangelos Venizelos. “Das wird uns in die Sackgasse führen.” Die Konservativen raten Tsipras schon lange, er solle das Spar- und Konsolidierungsprogramm in die Tat umsetzten. Nur so werde Griechenland aus der Krise herauskommen.

Schwindelerregende Forderung: Athen will bis zu 332 Milliarden

Nach einer Studie zum Thema Reparationen sind die Forderungen Athens schwindelerregend. Die Zeitung “To Vima” veröffentlichte das Papier am vergangenen Sonntag. Die Gesamtansprüche werden darin auf 269 bis 332 Milliarden Euro taxiert. Damit wäre Griechenland seinen Schuldenberg von 320 Milliarden Euro praktisch auf einen Schlag los.

Berlin weist Entschädigungsforderungen Athens zurück

Deutschland hat alle Forderungen Griechenlands aus dem Zweiten Weltkrieg entschieden zurückgewiesen. “Die Frage von Reparationen und Entschädigungszahlungen ist rechtlich und politisch abgeschlossen”, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch in Berlin.

Ein Sprecher des Finanzministeriums sagte, für die deutsche Regierung falle auch eine 1942 von Deutschland verhängte Zwangsanleihe aus dem Jahr 1942 unter das Kapitel Reparationen. “Und dieses Kapitel ist für uns rechtlich und politisch abgeschlossen”, sagte er. Es gebe auch keine Gespräche mit der griechischen Regierung darüber. Das Thema sei weder in den Gesprächen zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Ministerpräsident Alexis Tsipras noch zwischen Finanzminister Wolfgang Schäuble und dessen Kollegen Yanis Varoufakis angesprochen worden, sagten die Sprecher.

Seibert rief die Regierung in Athen auf, den Blick nicht in die Vergangenheit, sondern die Probleme der Gegenwart und die zukünftige Zusammenarbeit zu richten. Der Streit habe aber von deutscher Seite keine Auswirkungen auf die Gespräche mit Griechenland über weitere Hilfen der Eurogruppe. (red/dpa/APA)

  • VIENNA.AT
  • Politik
  • Streit um Reparationen: Athen fordert 332 Mrd. von Berlin - und droht mit Pfändung
  • Kommentare
    Kommentare
    Grund der Meldung
    • Werbung
    • Verstoß gegen Nutzungsbedingungen
    • Persönliche Daten veröffentlicht
    Noch 1000 Zeichen