Als Material ist Graphen eigentlich ein alter Bekannter. So besteht Graphit, der Hauptbestandteil von Bleistiftminen, aus Graphenschichten. Eine Schicht von einem Millimeter Graphit besteht aus drei Millionen Graphen-Lagen. Dabei setzt sich jede Kristall-Schicht aus Kohlenstoffatomen zusammen, die netzartig in sechseckigen Waben angeordnet sind. Allerdings haften die Schichten im Graphit nur schwach aneinander, beim Bleistift etwa trennen sich beim Schreiben unterschiedlich dicke Stapel und lagern sich auf dem Papier ab.
Den beiden Forschern gelang, wie sie 2004 veröffentlichten, erstmals die Herstellung von Schichten des Materials, die nur eine Atomlage dick waren. Die Kohlenstoffatome seien dabei tatsächlich zweidimensional, also flächig angeordnet, so Müller gegenüber der APA. Für die Erzeugung griffen Geim und Nowoselow auf eine verblüffend einfache Methode zurück: Sie trennten ohnehin schon dünne Graphit-Schichten mittels Klebeband so lange, bis wirklich nur noch eine Atomlage übrig blieb.
Die Graphen-Schichten sind stark lichtdurchlässig und lassen sich nur mit einem Mikroskop betrachten. Die physikalischen Eigenschaften des Materials ließen schon bald die Elektronik-Industrie aufhorchen. So weisen die Elektronen als Ladungsträger in Graphen die schnellste Beweglichkeit aller Materialien bei Raumtemperatur auf. Die Schichten leiten daher elektrischen Strom extrem rasch und mit wenig Widerstand. Auch die Wärmeleitfähigkeit ist unvergleichlich hoch.
Damit bieten sich die Graphen-Schichten etwa als Ersatz für Silizium in Hochleistungstransistoren an. Solche High-tech-Elemente, mit Graphen anstatt Silizium als Basis für Halbleiter, gebe es bereits, allerdings hätten solche Entwicklungen die Forschungslabors noch nicht verlassen. Dennoch gilt Graphen als Hoffnungsträger für die Elektronik.
Obwohl das Material Licht extrem gut absorbiert, ist eine Graphen-Schicht aufgrund der geringen Dicke fast durchsichtig, laut Müller werden 98 Prozent des Lichts durchgelassen. Damit eignet sich Graphen auch außerordentlich gut für optische Sensoren und Schaltelemente. An der TU Wien entstand etwa ein erst heuer von Müller in der Wissenschaftszeitschrift “Nature” präsentierter Photodetektor aus Graphen.
Noch gar nicht absehbar sind Anwendungen, die sich aus der Festigkeit von Graphen ergeben. “Hielte man eine Schicht wie ein Blatt Papier vor sich in den Händen, würde es sich nicht durchbiegen oder abknicken, sondern wie ein Brett über viele Meter stabil bleiben”, so Müller. Diese Steifigkeit könnte sich in den verschiedensten Bereichen als nützlich erweisen.
Nicht zuletzt die Grundlagenwissenschaft interessiert sich für die hauchdünnen Graphit-Schichten. So verhalten sich die Elektronen in Graphen teils wie masselose Teilchen und zeigen relativistische Eigenschaften bei nicht-relativistischen Geschwindigkeiten. Um relativistische Phänomene studieren zu können, muss man Teilchen normalerweise bis knapp an die Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, bei Graphen-Elektronen ist das anders. Damit wollen Wissenschafter nach eigenen Angaben das ganze Universum simulieren, was Müller allerdings für “doch übertrieben” hält.