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Start von Wiener Migrationskonferenz: "Nicht wahr, dass alles unter Kontrolle ist"

ICMPD-Generaldirektor Michael Spindelegger verwies in seiner Eröffnungsrede auf die zahlreichen internationalen Krisen.
ICMPD-Generaldirektor Michael Spindelegger verwies in seiner Eröffnungsrede auf die zahlreichen internationalen Krisen. ©APA/GEORG HOCHMUTH
Hochrangige Politiker und Experten aus der ganzen Welt treffen sich in Wien zur jährlichen Vienna Migration Conference um nach Lösungen der stetig wachsenden globalen Migrationsfrage zu suchen.

Spitzenpolitiker und Experten aus aller Welt sind am Dienstag in Wien zur diesjährigen Vienna Migration Conference der in Wien ansässigen Denkfabrik ICMPD zusammengekommen. Beim zweitägigen Treffen sollten etwa Minister aus Griechenland, Pakistan und Ägypten sowie EU- und UNO-Spitzenvertreter nach Lösungen in der Migrationsfrage suchen. "Meine Annahme ist, dass die vor uns liegende Aufgabe noch größer werden wird", sagte ICMPD-Generaldirektor Michael Spindelegger zum Auftakt.

Internationale Experten suchen nach Lösungen beim Thema Migration

Spindelegger verwies diesbezüglich auf die zahlreichen internationalen Krisen, etwa im Nahen Osten oder auch Afrika. Dabei sei die Zahl der Vertriebenen und Flüchtlinge mit 120 Millionen Menschen schon jetzt auf einem Rekordniveau und die europäischen Bürger seien "nicht zufrieden mit dem derzeitigen Zustand im Bereich Migration". Wähler und Bürger wünschten sich eine Verringerung irregulärer Migration, mehr Rückkehrer und eine vernünftige Politik im Bereich Arbeitsmigration. Die Migrationspolitik müsse auf dem Schutz von Menschenrechten und starken Partnerschaften von allen Ländern beruhen, forderte der Chef des Internationalen Zentrums für Migrationspolitik (ICMPD). "Es scheint manchmal wie die Quadratur des Kreises, alle diese Erwartungen zu erfüllen."

Neue Modelle und Partnerschaften in der Migrationspolitik

Der frühere Vizekanzler und ÖVP-Chef ging in seiner Eröffnungsrede nicht auf die Bestrebungen mehrerer EU-Regierungen ein, aus dem gemeinsamen EU-Asylsystem auszusteigen. Vielmehr hob er die jüngsten Fortschritte hervor, etwa den nach jahrelangen Verhandlungen erreichten EU-Asyl- und Migrationspakt, die neuen Migrationspartnerschaften über staatliche und kontinentale Grenzen hinweg sowie die neuen Modelle für die "externe Durchführung von Asylanträgen". "Einige davon wurden verworfen, andere sind gerade in der ersten Phase der Umsetzung", sagte er in offenkundiger Anspielung auf das britische Ruanda-Modell und die italienische Kooperation mit Albanien.

Wenig Anlass zu Optimismus im Bereich Migration sieht auch der bulgarische Soziologe Ivan Krastev, der als erster Redner der Konferenz auftrat. "Es ist einfach nicht wahr, dass alles unter Kontrolle ist. Die meisten Wähler sehen das nicht so", sagte der bulgarische Soziologe. Für die aktuelle Weltsituation fand er einen bildlichen Vergleich: "Ein Mann schreibt seiner Frau ein Telegramm: 'Beginne damit, Dich zu sorgen. Details folgen'. Genau in dieser Phase befinden wir uns derzeit."

Hochkarätige Redner bei der Wiener Migrationskonferenz

Am ersten Konferenztag wollten bei der Veranstaltung im Palais Niederösterreich unter anderem Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), der griechische Migrationsminister Nikolaos Panagiotopoulos, die belgische Asyl-Staatssekretärin Nicole de Moor, der Vize-Flüchtlingshochkommissar Ruven Menikdiwela, der ägyptische Vize-Migrationsminister Wael Badawi und der polnische Innenstaatssekretär Maciej Duszczyk sprechen. Per Videoschaltung sollte auch der US-Vizeminister für Heimatschutz, Daniel Delgado an der Konferenz teilnehmen. Zudem wurden Spitzenbeamte aus Dänemark und Irland als Redner erwartet.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) hat bei der Vienna Migration Conference Kritik an den Alleingängen einzelner EU-Staaten in der Asyl- und Migrationspolitik geübt. Der neue EU-Asyl- und Migrationspakt "wird nur erfolgreich sein, wenn er in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt wird", sagte Karner am Dienstag in Anspielung auf das Ausscheren der rechtspopulistisch geführten niederländischen Regierung. Zugleich bekräftigte er die Forderung nach Asylzentren in Drittstaaten.

Karner äußerte sich in einer Podiumsdiskussion mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Panagiatopoulos und der belgischen Innen-Staatssekretärin Nicole de Moor. Auch sie bekannten sich klar zu einem gemeinsamen europäischen Vorgehen in der Asyl- und Migrationspolitik. "Es wird nur eine Lösung geben, wenn wir gemeinsam handeln und nicht einseitig", betonte Panagiatopoulos. Auch in der Problemanalyse waren sich die drei Politiker einig: Es brauche insbesondere mehr Abkommen mit Herkunftsländern und Rückführungsabkommen.

"Was uns fehlt, ist eine umfassende Rückkehrpolitik für abgelehnte Migranten", sagte der griechische Politiker. Illegale Migranten werden weiterhin ihren Weg nach Europa finden, solange sie gleich behandelt werden wie legale Migranten. De Moor sagte, dass die Umsetzung des unter belgischer EU-Ratspräsidentschaft ausverhandelten Pakts eine "riesige Herausforderung" sein werde. Es brauche vor allem mehr Budget, aber auch eine Anpassung der gemeinsamen europäischen IT-Datenbanken. "Opt outs" von der gemeinsamen EU-Asylpolitik seien aus belgischer Sicht "nicht der richtige Weg", sagte sie mit Blick auf das Nachbarland Niederlande.

Österreich sei für eine rasche Umsetzung des Asyl- und Migrationspakts, wolle aber auch weitergehende Schritte, so Karner. Ohne die Dinge beim Namen zu nennen, sprach sich der Innenminister für die umstrittene Internierung von Asylbewerbern in Drittstaaten aus. Vielmehr sprach er von der Notwendigkeit, "an neuen und innovativen Partnerschaften mit Drittstaaten zu arbeiten", um den Druck von den EU-Außengrenzen zu nehmen. "Das gehört zu den wichtigsten Dingen", betonte er. Zugleich bekräftigte er die Absicht, Afghanen und Syrer in ihre jeweiligen Heimatländer abzuschieben.

"Das Problem ist nicht Migration, sondern das Management der Migration, das man nicht den Schleppern überlassen darf", betonte auch die stellvertretende UNO-Flüchtlingshochkommissarin Ruven Menikdiwela. Sie hob die Notwendigkeit einer adäquaten Versorgung von Vertriebenen und Flüchtlingen in den Herkunfts- und Transitländern hervor. In den Zielländern solle es "faire und schnelle Asylverfahren" geben, und das UNHCR sei diesen Ländern auch bei der Rückführung abgelehnter Personen in die Herkunftsländer behilflich.

ICMPD: Ein wichtiger Akteur in der Migrationspolitik

Das Internationale Zentrum von Migrationspolitik (ICMPD) wurde Anfang der 1990er Jahre vor dem Hintergrund der Balkankriege gegründet, um die Kapazitäten von Behörden und Organisationen im Umgang mit Migration zu stärken. Die Organisation wird von mittlerweile 21 Staaten - von Irland bis zur Türkei und von Portugal bis Schweden - getragen. Ihre Experten forschen nicht nur zu internationalen Migrationsströmen, sondern unterstützen Herkunfts- und Transitländer auch beim Umgang mit Migration. Dies zeigt sich unter anderem auch bei der Teilnehmerliste der Konferenz. So werden am Mittwoch Spitzenbeamte aus Pakistan und Bangladesch an einer Podiumsdiskussion zum Thema Arbeitsmigration teilnehmen. Ebenfalls am Mittwoch finden sich die Spitzen der EU-Asylagentur (EUAA), der EU-Grundrechtsbehörde FRA sowie der Grenzschutzagentur Frontex zu einer Diskussion zusammen.

ICMPD ist auch ein wichtiger Kooperationspartner der EU-Kommission. Diesbezüglich sorgte im Vorjahr ein von der Organisation in Bosnien-Herzegowina gebauter Internierungstrakt in einem Asyllager für öffentliches Aufsehen und Kritik. Die für die Anhaltung von rund einem Dutzend gewalttätiger Migranten konzipierte Containeranlage auf dem Gebiet des Asyllagers im nordbosnischen Lipa wurde nach ihrer Errichtung zum Politikum in dem Balkanstaat, aber auch Österreich. Kritiker zogen einen Vergleich zum US-Internierungslager Guantanamo, eine Inbetriebnahme scheiterte am Widerstand von bosnischen Behördenvertretern.

(APA/Red)

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