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Staatsbürgerschaftsrecht in Österreich zählt weltweit zu restriktivsten

Österreich ist unter jenen 19 Prozent aller Staaten, die keine doppelte Staatsangehörigkeit zulassen
Österreich ist unter jenen 19 Prozent aller Staaten, die keine doppelte Staatsangehörigkeit zulassen ©APA (Sujet)
Keine doppelte Staatsangehörigkeit möglich: Österreichs Staatsbürgerschaftsrecht zählt weltweit zu den restriktivsten. Zu diesem Befund kommen Migrationsexperten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).
Einbürgerungen 2020 auf Tiefstand
Soll die Geburt im Land ausreichen?

Die Experten der ÖAW haben in einer neuen Publikation über Doppelstaatsbürgerschaften ausgeführt, dass Österreich zu jenen 19 Prozent aller Staaten zählt, die keine doppelte Staatsangehörigkeit anerkennen. Doch immer mehr Länder würden Doppelstaatsbürgerschaften tolerieren.

Trend geht hin zu Doppelstaatsbürgerschaftsduldung

"Der globale Trend zur Duldung einer doppelten Staatsbürgerschaft ist ganz eindeutig", sagte der Migrationsforscher Rainer Bauböck, Obmann der Kommission für Migrations- und Integrationsforschung der ÖAW und Professor am Robert Schuman Centre for Advanced Studies am European University Institute, zur APA. Die Staaten würden so versuchen, die Bindung zu ihren ausgewanderten Bürgern aufrechtzuerhalten oder Einwanderer zur Einbürgerung zu ermutigen. Seit 1960 würden immer mehr Länder ihren restriktiven Kurs ändern, in Europa zuletzt etwa Norwegen, davor Dänemark und Luxemburg oder die Tschechische Republik.

Soziale Auswirkungen auf dem Prüfstand

In dem Buch "Dual Citizenship and Naturalisation" untersuchen Bauböck und der Soziologe Max Haller als Herausgeber diese Änderungen der staatlichen Haltung und ihre sozialen Auswirkungen. In der Forschung sei man sich einig, dass Staatsbürgerschaft und Integration zusammenhängen: "Es gibt zahlreiche sozialwissenschaftliche Untersuchungen, die belegen, dass der Zugang zur Staatsbürgerschaft als Katalysator für Integration wirkt", so Bauböck. Ein Pass der neuen Heimat vermittle Einwanderern nicht nur ein Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit, er bringe auch bessere Chancen am Arbeitsmarkt und Zugang zu demokratischer Teilhabe, wie die Möglichkeit zu wählen.

Gründe für Österreichs restriktiven Kurs

Bauböck ortetet mehrere Gründe für Österreichs restriktiven Kurs in dieser Frage: Da sei zunächst die Parteienkonstellation der Regierungen in den vergangenen Jahrzehnten, "wo es klar war, dass keine Liberalisierung möglich ist". So habe etwa die SPÖ diese Frage nicht als wichtig genug angesehen, um der ÖVP die Themenführerschaft streitig zu machen, und eher auf das Thema der sozialen Integration gesetzt.

Ein weiterer Grund sei die türkische Bevölkerungsgruppe in Österreich und die Wahrnehmung, dass sie sich nicht ausreichend zu Österreich bekenne - "und das wird wiederum verknüpft mit der Doppelstaatsbürgerschaft". Gezeigt hat sich das etwa in der Diskussion um angeblich illegale Doppelstaatsbürgerschaften, die aufflammte, als nach einem türkischen Verfassungsreferendum 2017 Auszüge aus dem türkischen Wählerregister auftauchten.

Kulturpatriotismus beeinflusst Staatsbürgerschafts-Frage

Auch die Art und Weise, wie nach 1945 der österreichische Kulturpatriotismus entstanden ist, spielt für Bauböck in die Staatsbürgerschafts-Frage hinein. Mit diesem Kulturpatriotismus wollte man sich als gefestigte Nation mit eigener nationaler Identität darstellen. Das zeige sich auch in der Ablehnung der Doppelstaatsbürgerschaft - mit dem Argument, dass nationale Identität etwas mit dem Bekenntnis zu einer eindeutigen Loyalität zu tun hat.

Für Bauböck steht diese Haltung allerdings im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten, für die sich das nicht ausschließe. "Migranten leben in zwei Gesellschaften und haben Bindungen an beide Staaten, daher ist die Doppelstaatsbürgerschaft auch ein angemessener Ausdruck dieser Lebensverhältnisse", so der Migrationsforscher, der in Österreich auch eine gewisse Inkohärenz in dieser Frage ortet, gebe es doch "viele Ausnahmen". Als Beispiele nennt er etwa den Versuch der letzten Bundesregierung, den Südtirolern die österreichisch Staatsbürgerschaft zusätzlich zur italienischen anzubieten, die Staatsbürgerschaft für Nachkommen von Holocaust-Opfern, die Promi-Einbürgerungen oder die Doppelstaatsbürgerschaft per Geburt, wenn ein Elternteil Österreicher ist und einer eine andere Nationalität hat.

Größe des ungenutzten Einbürgerungspotenzials untersucht

In dem Buch hat sich Stephan Marik-Lebeck von der Statistik Austria auch die Größe des ungenutzten Einbürgerungspotenzials angeschaut, also wie viel Personen die Voraussetzung zur Erlangung der Staatsbürgerschaft haben, wie zehn Jahre Aufenthalt in Österreich, die Erfüllung des Einkommenskriteriums, usw. Bauböck weist jedoch darauf hin, dass viele nicht erfassbare Faktoren dazu kommen, etwa die Frage der Unbescholtenheit oder ob sie die Sprachtests schaffen würden. Jedenfalls waren Anfang 2020 rund 330.000 Nicht-EU/EFTA-Bürger zehn Jahre oder länger in Österreich ansässig (3,7 Prozent der Gesamtbevölkerung). Weitere 90.000 Nicht-EU/EFTA-Bürger kommen potenziell für eine vorzeitige Einbürgerung in Frage, da sie zwischen sechs und zehn Jahren in Österreich gelebt haben (ein Prozent der Bevölkerung).

Gleichzeitig mit dem Buch über Doppelstaatsbürgerschaft ist im Verlag der ÖAW das Jahrbuch Migrationsforschung "Flucht und Asyl - internationale und österreichische Perspektiven" erschienen, mit dem Wissenschafter zu einer Versachlichung der emotional aufgeladenen Debatten zu diesen Themen beitragen wollen.

"Dual Citizenship and Naturalisation: Global, Comparative and Austrian Perspectives", Rainer Bauböck, Max Haller (Hg.), 317 S., 49 Euro, ISBN: 978-3-7001-8775-2

"Flucht und Asyl - internationale und österreichische Perspektiven", Wiebke Sievers, Rainer Bauböck, Christoph Reinprecht (Hg.), 253 S., 29 Euro, ISBN: 978-3-7001-8706-6

Beide Bücher: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, online als open access kostenlos erhältlich. Beide Bücher werden bei einer Online-Podiumsdiskussion am 19. Mai um 17.00 Uhr vorgestellt - mehr dazu hier.

(APA/Red)

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