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Speedklettern macht süchtig - Der Tag der "The Nose"-Besteigung

Mayan - im Bild - und Chantel wollen auf "The Nose" einen neuen Speed-Rekord aufstellen.
Mayan - im Bild - und Chantel wollen auf "The Nose" einen neuen Speed-Rekord aufstellen. ©John Dickey
Chantel und Mayan: Der große Tag ist gekommen. Heute werden sie "The Nose" auf "El Cap" besteigen und versuchen den Speed-Rekord zu schlagen.

22. September, 1:46 Uhr – Ich warte auf der Brücke von El Cap auf Chantel und Mayan. Im Gegensatz zum letzten Mal ist es ganz ruhig. Am Straßen- rand sind weniger Autos und Trucks geparkt. Ich höre einen Fisch im Merced River springen und in der Ferne Grillen zirpen. Ich denke über den bevorstehenden Tag nach: El Cap und den Half Dome rauf und runter, das sind mehr als 5000 Höhenmeter. Ich kann mir kaum vorstellen, wie sich die letzten Stunden des Tages anfühlen werden.

Speedklettern auf der Route “The Nose”

2:25 Uhr – Chantel und Mayan erreichen die Brücke. „Es ist warm”, sagt Chantel während sie sich fertig macht. Bald machen wir uns auf den Weg zum Fuß von „The Nose“.

2:53 Uhr – Mayan trinkt einen Schluck und sagt „Ich mache mich jetzt mal auf den Weg nach oben. In 10 Sekunden geht’s los. Die Ausrüstung und die Alu-Karabiner klirren und schrammen am Fels entlang, als sich beide zum Startpunkt der Route begeben. John (der Fotrograf) und ich biegen ab und gehen hoch zu den East Ledges. Wir versuchen schnell auf den Gipfel zu kommen, damit wir ihre Ankunft oben nicht verpassen.

10:35 Uhr – Mayan erreicht den Baum am Endpunkt von „The Nose“. Sie wirkt selbstbewusst und aufgekratzt. Sie zieht das Seil hoch und schlingt es um den Baum herum. „Los, Chantel!”, ruft sie aufmunternd. „Ich stoppe die Zeit auf meiner Uhr.” Chantel berührt den Baum.

Die Uhr bleibt bei 7:26 stehen. Sie haben den bisherigen Rekord um fast drei Stunden unterboten. Nachein- ander rufen beide: „Yeah! Juhu, das lief perfekt!”, freut sich Mayan. „Du warst super!”–„Wir sind die schnellsten Frauen – im Frauenteam und sogar als Mixed. Bis da jemand rankommt, wird es eine Weile dauern.”

Libby, Chantel und Mayan sitzen ge- meinsam an einem Picknicktisch. Es gibt Spinat, Würste und Wasser. Die Frauen schlingen mit ihren noch getapten, schmutzigen Händen ihr Essen hinunter. Kurz danach sind wir auf dem Weg nach Curry Village, um von dort aus mit unseren Rädern zum Mirror Lake zu fahren. Dort angekommen stellen wir sie ab und laufen mit der brennenden Sonne im Rücken die Death Slabs hoch, zum Fuß des Half Dome.

Half-Dome Besteigung

16:04 Uhr – Mayan trägt das Seil in einer „Kiwi Coil” über der Schulter. Sie wollen die Route im ”simul-climb” klettern. Chantel ist vollgepackt mit Ausrüstung. Beide Frauen wirken müde und jede Bewegung kostet sichtbar mehr Kraft als noch am Morgen. Ich sehe in ihren Augen, dass sie an die kommenden Strapazen und Schmerzen denken. „Ich bin gerade nicht so scharf aufs Klettern wie noch oben auf El Cap”, meint Mayan.

16:28 Uhr – Chantel beginnt langsam und vorsichtig zu Klettern. In neun Meter Höhe setzt sie ihre erste Sicherung, bevor sie sich auf ein kleines Dach stemmt. Dickey und ich drehen um, um die beiden oben zu treffen.

23:19 Uhr – Mayan nähert sich dem Gipfel des Half Dome. Oben ange- kommen baut sie einen Fixpunkt und sichert Chantel bis zum Ausstieg. „Ich muss von der Kante weg” Chantel braucht Abstand. Ohne sich auszuklinken oder ihre Ausrüstung abzulegen, bricht sie auf der Felsplatte zusammen und kauert dort still mit dem Kopf zwischen den Armen. Wenig später steht sie auf, ihre Augen sind feucht. „Ich hab’ mich bis zum Schluss zusammengerissen”, sagt sie. Sie habe am Half Dome Essen und Trinken vergessen, erklärt Chantel. Es weht ein starker Wind. Sie reden, aber nicht viel. Sie umarmen sich und wir steigen über die steile und glatte Stahlseilroute des Half Dome ab, queren über die Schulter und dann runter über die Death Slabs.

Um 2:30 Uhr kommen wir bei den Fahrrädern an und finden Libbys Geschenk: Zwei Flaschen Bier und ein selbstgebasteltes Schild auf dem „Gerade geliefert” steht. Wir schwingen uns auf die Räder und fahren zurück.

Am nächsten Nachmittag treffe ich die Frauen und die Crew bei El Cap Meadow. „Ich habe vielleicht Lust auf eine Dreifachbegehung nächstes Jahr, wie sieht’s bei Dir aus?”, fragt Mayan Chantel. Sie möchte in 24 Stunden noch die 600 m vom Mt. Watson dranhängen. Sie spricht auch davon, El Cap und Half Dome an einem Tag frei zu klettern. Sie ist motiviert.

Ein paar Tage später tut sich Mayan mit Sean Leary zusammen und gemeinsam klettern sie „The Nose“ in 4:29. In seinem Blog schreibt er: „Ich bin sicher, dass Mayan es auch mindestens zwei Stunden schneller schafft, wenn sie will.” Nachdem auch der Team-mixed-Rekord geschafft ist, verlässt sie das Tal und fliegt zu ihrem nächsten Kletterziel in Australien.

Die Speed-Rekorde von “The Nose”

„NOSE“-REKORD FRAUEN
16.09.2011 Chantel Astorga und Libby Sauter setzen den Rekord mit 10:40.
11.06.2012 Jes Meiris und Quinn Brett drücken die Rekordzeit auf 10:19.
19.09.2012 Während ihrer Trainingsbesteigung stellen Chantel Astorga und Mayan Smith-Gobat mit 10:10 einen neuen Rekord auf.
22.09.2012 Chantel Astorga und Mayan Smith-Gobat verbessern um fast 3 Stunden den neuen Rekord auf 7:26.

„NOSE“-REKORD MIXED
29.09.2012 Sean Leary und Mayan Smith-Gobat klettern „The Nose“ in 4:29.

„NOSE“-REKORD MÄNNER
08.10.2007 Alex und Thomas Huber setzen den neuen Rekord mit 2:45.
06 .11.2010 Dean Potter und Sean Leary drücken die Rekordzeit auf 2:36.
17.06.2012 Alex Honnold und Hans Florine stellen mit 2:23 die aktuelle Rekordzeit.

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