Am heutigen Samstag bestellte EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen den türkischen Botschafter in Brüssel, Oguz Demiralp, zu sich, um sich zu informieren ob und wann das neue Strafrecht beschlossen wird, wie Verheugen anschließend vor der Presse sagte.
Laut türkischen Medienberichten könnte es noch Monate dauern, bis die Reform angenommen wird. Die EU-Kommission will aber am 6. Oktober ihre Empfehlung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen vorlegen, die Staats- und Regierungschefs sollen im Dezember darüber entscheiden. Die Annahme der Strafrechtsreform sei ein absolut zentraler Punkt für die Frage, ob die Türkei bereit ist, sich unseren europäischen Wertvorstellungen anzupassen, so Verheugen am Rande eines EU-Kommissionsseminars in Leuven (Löwen) auf Fragen von ORF und APA.
Der endgültige Beschluss über das Strafrecht war insbesondere deshalb hängen geblieben, weil die türkische Regierung Ehebruch unter Strafe stellen wollte, was die EU-Kommission dezidiert ablehnt. Nachdem sich Verheugen und sein Sprecher am Donnerstag und Freitag kritisch über dieses Vorhaben geäußert hatten, warf ihnen Erdogan Einmischung in innere Angelegenheiten der Türkei vor.
Diese Reaktion Erdogans sei ungewöhnlich, der Vorwurf der Einmischung kann ja schwer erhoben werden, wenn ein Land Mitglied der europäischen Union werden will. Wir wollen uns ja nicht der Türkei anschließen, sondern die Türkei der Europäischen Union, sagte dazu Verheugen. Es gehe um die Frage ob die Türkei unsere Standards, unsere Werte erfüllt und nicht ob wir die Standards der Türkei erfüllen.
Dabei sei die EU sehr zurückhaltend gewesen und habe lediglich darauf hingewiesen, dass die Einbeziehung eines neuen Straftatbestandes Ehebruch den Verdacht wecken kann, dass hier eine Konzession gemacht wird, an die konservativen Kräfte des Islam, die Schwierigkeiten haben mit unseren Wertvorstellungen.
Der Termin 6. Oktober für die Vorlage der EU-Kommissionsempfehlung zur Türkei werde aber jedenfalls halten, betont Verheugen. Er sehe keinen Grund für eine Verschiebung. Das einzige was sich verändern kann, ist der Inhalt dieses Pakets, so Verheugen.
Der türkische Botschafter Demiralp sagte nach dem Gespräch mit Verheugen, es habe am Freitag Spannungen mit der EU gegeben, diese seien aber nun überwunden. Es gehe nur um eine Frage des Zeitpunkts, niemand solle Zweifel an der Reformbekenntnis der Türkei haben.
Verheugen habe darauf hingewiesen, dass die Strafrechtsreform so früh wie möglich aber jedenfalls vor der Entscheidung der Staats- und Regierungschefs im Dezember fallen müsse. Am 23. September werde Erdogan noch zu Gesprächen in Brüssel erwartet.
Außenministerin Benita Ferrero-Waldner (V) sagte am Rande des Seminars der EU-Kommission in Leuven, sie habe von der Türkei immer Fortschritte eingefordert. Wenn sich nun eine Kriminalisierung für Ehebruch abzeichne, dann ist das sicher nicht zuträglich für einen Fortschritt. Es sei sehr wichtig, dass diese Frage im Bericht der EU-Kommission am 6. Oktober reflektiert wird.