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Spaniens Sozialisten kündigen Kurswechsel an

Nach dem überraschenden Wahlsieg haben Spaniens Sozialisten einen Kurswechsel in der Außenpolitik angekündigt: "Spanien wird europäischer sein als je zuvor."

Der Chef der spanischen Sozialisten (PSOE) und künftige Ministerpräsident Jose Luis Rodriguez Zapatero sagte am Montag in Madrid, er werde Spanien wieder stärker an die europäischen Partner Frankreich und Deutschland annähern, die gegen den Irak-Krieg gewesen waren.

„Spanien wird europäischer sein als je zuvor“, sagte er. Die Sozialisten wollten eine Minderheitsregierung bilden.

Außerdem sollen die 1300 spanischen Soldaten noch vor dem 30. Juni aus dem Irak abgezogen werden, wenn sie nicht einem Mandat der Vereinten Nationen unterstellt würden.

Auch der mögliche neue Außenminister Miguel Angel Moratinos stellte in Aussicht, die Beziehungen zu den traditionellen Verbündeten in Europa stärken zu wollen, die Rolle im Irak zu überdenken und den strategischen Dialog mit den USA der Europäischen Union zu überlassen.

„Wir müssen nach Europa zurückkehren. Wir müssen in den harten Kern Europas zurückkehren. Wir müssen das Vertrauen zwischen Spanien, Frankreich und Deutschland und zu Großbritannien wiederherstellen“, sagte Moratinos am Montag in einem Telefoninterview mit der Nachrichtenagentur Reuters.

„Dies ist die Zeit für Einheit in Europa, nicht für eine Teilung Europas. Wir wollen Teil der Hauptakteure Europa sein … und dies kann durch einen aktiven Einsatz Spaniens für ein starkes Europa gezeigt werden.“

Die Regierung Aznar hatte sich im Irak-Konflikt auf die Seite der USA gestellt. Dies dürfte nach Ansicht von Beobachtern viele Wähler unter dem Eindruck der Terroranschläge dazu bewogen haben, für die PSOE zu stimmen. Nach Ansicht vieler Spanier hatte Aznar das Land mit seinem proamerikanischen Kurs zum Ziel von Anschlägen islamischer Terroristen gemacht. Proteste hatte auch die Informationspolitik Aznars ausgelöst, die zunächst einseitig eine Täterschaft der baskischen Untergrundorganisation ETA ausmachte.

In ganz Europa wurde am Montagmittag mit drei Schweigeminuten der Terroropfer von Madrid gedacht. Der dringende Tatverdacht für die Bombenattentate konzentrierte sich auf den 30-jährigen Marokkaner Jamal Zougam. Laut dem Radiosender Cadena SER soll er einer islamischen Terrorgruppe mit Verbindungen zu El Kaida angehören. In einem Video, dessen Echtheit noch nicht feststeht, hatte sich El Kaida zu dem Blutbad in Madrid bekannt.

Die Sozialisten gewannen die Parlamentswahlen vom Vortag mit 42,6 Prozent der Stimmen und erhielten 164 Mandate, 39 mehr als bisher. Die konservative PP von Ministerpräsident Jose Maria Aznar, die bei der vorigen Wahl noch die absolute Mehrheit gewonnen hatte, kam mit 37,6 Prozent auf nur 148 Sitze, 35 weniger als vor vier Jahren.

Der PP-Spitzenkandidat Mariano Rajoy gestand seine Niederlage ein. Er verwies darauf, dass die Wahl im Zeichen der Terroranschläge von Madrid gestanden habe. Zapatero betonte demgegenüber, die Attentate vom vergangenen Donnerstag mit 201 Toten hätten keinen Einfluss auf den Wahlausgang gehabt. „Spanien war reif für den Wechsel.“

Pressestimmen zu Kurswechsel in Spanien

Internationale Tageszeitungen kommentieren den Sieg der Sozialisten bei den spanischen Parlamentswahlen am Sonntag durchwegs kritisch. Die meisten sehen darin und in der Ankündigung des künftigen sozialistischen Ministerpräsidenten Jose Luis Rodriguez Zapatero, die spanischen Truppen aus dem Irak zurückzuziehen, einen Erfolg für den Terrorismus. Lediglich die Turiner „La Stampa“ sieht mit der künftigen spanischen Regierung die Chance für eine neue Rolle der Europäer im Irak gegeben. Die Londoner „Times“ warnt davor, dass die Terroristen in jedem Land ein „Alibi“ finden, um losschlagen zu können.

“Le Figaro“ (Paris):
„Die Attentate von Madrid haben nicht nur getötet, verletzt, aufgewühlt. Sie haben nicht nur einfach die Parlamentswahlen in Spanien von ihrem Kurs abgebracht. Vielmehr zwingen sie vor allem Europa, aber auch Washington, eine neue Gesamtsituation auf. Denn die Vorstellung, dass der Terrorismus auf diese Weise der Demokratie eine Falle zu stellen vermag, kann sicherlich nicht hingenommen werden. So hätte die innenpolitische Bilanz des Verlierers Aznar einen anderen Wahlausgang verdient gehabt. Niemand weiß, ob die Spanier aus Angst so gewählt haben oder weil man sie in Bezug auf die Ermittlungen belogen hat. Gewonnen hat jedenfalls der Terrorismus. Leider.“

“De Volkskrant“ (Amsterdam):
„Es ist peinlich, dass der künftige Regierungschef Spaniens, der sozialistische Parteichef Jose Luis Rodriguez Zapatero, wiederholt hat, die 1300 spanischen Soldaten aus dem Irak abziehen zu wollen. Normalerweise hat ein Wahlsieger das Recht, wenn nicht gar die Pflicht, seine Wahlversprechen wahrzumachen. Aber die Toten der Anschläge auf die Züge sind gerade erst begraben und das Videoband mit den Drohungen ist gerade zwei Tage alt. Dadurch erhält die Ankündigung von Zapatero den Beigeschmack eines Kniefalls vor dem Terror. Ohne den Standpunkt seiner Partei verleugnen zu müssen, hätte sich der künftige Ministerpräsident in diesem Stadium besser auf ein Plädoyer für engere europäische Zusammenarbeit gegen eine Bedrohung beschränkt, die an den Pyrenäen nicht Halt macht, wie Absolutismus und Unversöhnlichkeit der islamischen Terrorbewegung ausweisen.“

“Berlingske Tidende“ (Kopenhagen):
„Insoweit man überhaupt irgendeine verständliche Botschaft aus dem Massaker von Madrid an 200 Menschen letzten Donnerstag heraus lesen kann, dann ist es diejenige, dass die Islamisten die westliche Einmischung in die Zukunft des Irak beenden wollen. Die Landsleute der 200 Ermordeten entschieden am Sonntag, dieser Forderung nachzugeben. Damit haben die spanischen Wähler das denkbar unglücklichste Signal an die Hintermänner des islamistischen Terrors gesandt: Eure Bomben zahlen sich aus.“

“Dagens Nyheter“ (Stockholm):
„Die schnellen Schwenke rund um die spanische Wahl deuten auf ein fehlgerichtetes Bestreben, aus der Schusslinie zu kommen. Zuerst der Versuch der alten Regierung sich selbst zu bewahren, indem sie einen Sündenbock fand. Dann der unmittelbare Rückzug aus dem Irak durch die neue Regierung. Letzteres wollten die Spanier zwar schon lange, aber in dieser Situation ist der Effekt ein unglückliches Nachgeben gegenüber dem fundamentalistischen Terror.

“The Times“ (London):
„Wo der Irak nicht als Alibi herhalten kann, würde eine andere Rechtfertigung erfunden. So könnte Frankreich ein Terroranschlag treffen als Vergeltung dafür, dass moslemische Schulmädchen dort keine Kopftücher tragen dürfen. Und wenn El Kaida in der Lage wäre, eine gewalttätige Operation in Berlin, Hamburg oder München auszuführen, dann würde die Tatsache, dass Gerhard Schröder keine Soldaten am Golf hat, sie auch nicht davon abhalten. Irgendein anderer Aspekt deutscher Innen- oder Außenpolitik würde angeführt, wenn überhaupt eine Rechtfertigung gegeben werden würde.“

“La Stampa“ (Turin):
„Der europäischen Linken bietet sich nach den spanischen Wahlen eine große Gelegenheit: Europa zur Förderin der Machtübergabe an eine Zivilregierung im Irak zu machen. (…) Nach dem 11. März befindet sich Spanien in einer psychologisch und politisch bedeutenden Lage, um dazu beizutragen, Europa in eine aktive Rolle im zivilen, nicht militärischen Sinn im Irak zu führen, gemeinsam mit den Vereinten Nationen. Ein Europa, das nicht notwendigerweise links steht, aber das bereit ist, bei der Lösung der Irak-Frage mitzuarbeiten, obwohl es die amerikanische Militärintervention ablehnt – ohne sich vom Terrorismus erpressen zu lassen.“

“Liberation” (Paris):
„Angesichts eines beweglichen Feindes, der von einem Ende des Planeten bis zum anderen aktiv ist, kann sich nur die breiteste internationale Zusammenarbeit als schlagkräftig erweisen. Was Europa dazu beiträgt, ist dabei nur eine Ebene in einem weitläufigeren Ensemble, das als erstes die USA selbst einschließt. Auch wenn ein Teil der Terrorbekämpfung naturgemäß geheim zu bleiben hat, so muss dabei doch klar sein, dass die Grundregeln der Demokratien in Kraft bleiben. Und die erste lautet dabei: Transparenz des Handeln der Regierungen. Dient der Terrorismus hingegen dazu, falsch zu spielen, dann haben die Spanier hoffentlich die anderen gelehrt, wie die Kunst zweckmäßig angewandt wird, Manipulateure zu entlassen.“

“Danas“ (Belgrad):
„Der radikale Schwenk der Wählermehrheit ist die Folge der immer offenkundigeren Überzeugung, dass die Regierung in unverschämter Weise versucht hat, die volle Wahrheit zu verbergen. Vor allem, dass das Blutvergießen nicht im Zusammenhang mit der Beteiligung spanischer Truppen im Irakkrieg steht, die von 90 Prozent der Spanier abgelehnt wird, und die Vergeltung islamischer Terroristen wegen dieser Intervention. Ein so arrogantes Verhalten gegenüber der eigenen Öffentlichkeit ist wie ein Bumerang zur Regierungspartei zurückgekehrt.“

“The Guardian“ (London):
„Blair mag das politische Schicksal seines engsten europäischen Verbündeten erspart bleiben, weil es in Großbritannien kein richtiges Sammelbecken für Kriegsgegner gibt. Die Kriegsgegner verteilen sich über das gesamte politische Spektrum, aber niemand ist groß genug, um sich an die Spitze einer Bewegung setzen zu können. (Der ehemalige Außenminister) Robin Cook hätte ihr Führer sein können, aber er wurde es nicht. Blair mag argumentieren, dass die Geschehnisse in Madrid ihm Recht geben. Aber die britische Bevölkerung muss er erst noch davon überzeugen, dass der Irak-Krieg nicht mehr El Kaida-Gefolgsleute angeworben hat als jedes andere Ereignis. Aznar hat das bei den Spaniern nicht geschafft.“

“Neue Zürcher Zeitung“:
„Vor dem Attentat hätte Spanien vermutlich anders gewählt, vielleicht wäre das Verdikt in zwei Wochen anders ausgefallen, und sicher werden die Konservativen, sobald sie sich vom Schock erholt haben, die Legitimität der neuen Regierung in Frage stellen. Am Wahlsieg der Sozialisten und ihres Spitzenkandidaten Rodriguez Zapatero gibt es nichts zu rütteln. Vor dem Hintergrund des Attentats, des andauernden Entsetzens und der Angst fehlt diesem Sieg jedoch jeglicher Glanz. Zapatero wird nun unter Beweis stellen müssen, dass er ihn auch ohne die Wahlhilfe von Terroristen verdient hätte.“

“Le Monde“ (Paris):
„Zapatero hat versprochen, als eine seiner ersten Entscheidungen die im Irak stationierten spanischen Truppen abzuziehen. Zweifellos wird es jedoch leichter gewesen sein, diese Entscheidung anzukündigen als sie umzusetzen. In jedem Fall wird US-Präsident George W. Bush jetzt einen seiner treuesten und entschlossensten Verbündeten (neben dem britischen Premier Tony Blair) verlieren. Und das auch noch zu einem Zeitpunkt, an dem der Präsident sich in eine noch nicht klar vorgezeichnete Wahlkampagne stürzt und die USA Schwierigkeiten im Irak haben. Die Europäische Union dagegen dürfte weniger Probleme in den Beziehungen zu Madrid haben, hat doch die sozialistische Partei Zapateros eine lange europäische und föderalistische Tradition.“

“Algemeen Dagblad“ (Den Haag):
„Die spanische Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar – die stärker als unser Land hinter Bush und Blair hergelaufen ist – hat daheim die Quittung für ihre Unterstützung des Kriegs im Irak erhalten. (…) Es ist verständlich, dass sich viele fragen, ob nicht auch die Niederlande aus dem Irak abziehen müssten. Es ist aber vernünftig, sich durch die Gräueltaten in Madrid nicht von der eigenen Linie abbringen zu lassen. Ob man im Irak bleibt oder nicht, muss unabhängig davon entschieden werden. Wenn man den Kopf beugen würde vor Leuten, die die internationale Rechtsordnung mit Füßen treten und für die Menschenleben keinen Wert haben, wäre dies das Schlechteste was man tun könnte.“

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