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Sorge wegen Kopftuch-Verbot

Staatspräsident Jacques Chirac hat entschieden, deutlich sichtbare religiöse Zeichen und Kleidungsstücke in öffentlichen Schulen gesetzlich zu verbieten.

In den Beifall für die nach monatelanger Debatte allseits erwarteten Ankündigung und sein leidenschaftliches Plädoyer für die laizistische Republik mischen sich aber auch kritische Töne.

Der Islamrat CFCM befürchtet, dass sich die fünf Millionen Moslems in Frankreich durch das Gesetz diskriminiert fühlen, obwohl ausdrücklich auch größere christliche Kreuze und die jüdische Kippa verboten werden. Der gemäßigte CFCM-Vorsitzende Dalil Boubakeur rief die Muslime zur Besonnenheit auf. Sein den Fundamentalisten nahe stehender Stellvertreter Fouad Alaoui erklärte, die Moslems sähen einen politischen Willen am Werk, ihre religiöse Freiheit einzuschränken.

Kritiker bis ins rechtsliberale Regierungslager des Präsidenten hinein befürchten vor allem, dass das Kopftuch-Gesetz zu kurz greift und das Problem nicht an der Wurzel packt: Die gescheiterte Integration der meisten moslemischen Jugendlichen bereitet Extremismus erst den Nährboden. Chirac hatte in seiner Grundsatzrede schonungslos Bilanz gezogen. Er wisse um die Empörung moslemischer Jugendlicher, die wegen ihres arabischen Namens keine Arbeit bekämen oder als Mieter abgelehnt würden.

Der Graben zwischen den sozialen Brennpunkten in den Vorstädten und dem Rest des Landes werde immer tiefer, sagte der Präsident. Von Bewohnern der „Ghettos einer unmenschlichen Urbanisierung”, wo das Recht des Stärkeren gelte, könne man nicht erwarten, sich als Teil der französischen Nation zu begreifen. Doch ziehe er trotz aller Lippenbekenntnisse für eine „Neubegründung der Integrationspolitik” keine Konsequenzen, notierte die linksliberale „Liberation”.

Chirac kündigte eine Behörde zum Kampf gegen Diskriminierung an und begnügte sich ansonsten damit, auf eine größere Polizeipräsenz in den sozialen Brennpunkten und ein Stadtentwicklungsprogramm zu verweisen. „Da habe ich mehr erwartet”, bedauert die Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Marie-George Buffet. Auch der Fraktionschef der kleineren Regierungspartei UDF, Herve Morin, fordert, die Regierung müsse endlich die Ursachen anpacken, eine „wirkliche Integrationspolitik” auf den Weg bringen.

Nahezu uneingeschränkte Zustimmung erntete Chirac hingegen mit seiner Absage an den Kommunitarismus, an das multikulturelle Modell der angelsächsischen Welt. „Die Vielfalt macht die Größe Frankreichs aus”, sagte der Präsident, doch müssten auch die neuen Einwanderer die Werte und die Gesetze der Republik respektieren. Und dazu gehöre die Gleichheit der Geschlechter und die Würde der Frau, schrieb er den islamischen Fundamentalisten ins Stammbuch.

Die weltanschauliche Neutralität sei ein Grundpfeiler der Verfassung und die Schule ein „republikanisches Heiligtum”, begründete der Staatspräsident das Kopftuch-Verbot. Drei Monate vor den Regionalwahlen will Chirac damit auch der rechtsextremistischen Nationalen Front von Jean-Marie Le Pen das Wasser abgraben, der virtuos mit den diffusen Ängsten einer Islamisierung Frankreichs spielt. Chirac verwarf auch den Vorschlag, den Islam und das Judentum mit der Anerkennung des Opferfests Eid el Kebir und Yom Kippur als gesetzliche Feiertage aufzuwerten.

Die Regierung von Premierminister Jean-Pierre Raffarin machte sich am Donnerstag umgehend daran, die Forderungen des Präsidenten umzusetzen. Erziehungsminister Luc Ferry kündigte an, dass Gesetz werde vermutlich schon im Februar ins Parlament eingebracht, damit es rechtzeitig zu Beginn des neuen Schuljahrs im September in Kraft treten kann.

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