Solidaritäts-Appell von Ukraine-Gruppe des Nationalrats

Die Menschen im Kriegsgebiet würden das zu schätzen wissen und Unterstützung dringend benötigen. "Man weiß, dass Österreich solidarisch ist und hilft", sagte Neos-Mandatar Helmut Brandstätter, der der Gruppe vorsteht, am Montag auf einer Pressekonferenz nach einem mehrtägigen Ukraine-Aufenthalt.
Appell von Ukraine-Gruppe des NR: Weiter solidarisch sein
Brandstätter war gemeinsam mit Wolfgang Gerstl (ÖVP), Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne) und Harald Troch (SPÖ) sowie Johann Kuhn von Apotheker ohne Grenzen von 7. bis 11. Dezember in die Ukraine gereist, um sich ein Bild von der dortigen Lage zu machen.
Die Delegation zeigte sich schockiert von den Auswirkungen des Angriffskriegs, aber auch beeindruckt von der Stimmung in der ukrainischen Bevölkerung. Brandstätter berichtet von absichtlichen Bombardements neuralgischer Punkte durch Russland und nennt etwa "Schulen, die bewusst bombardiert wurden"; schon im März habe Putin Angriffe auf Lebensmittellager forciert.
Gerstl: Ukrainische Bevölkerung erkennt Muster
Laut dem ÖVP-Teilnehmer der Delegation, Wolfgang Gerstl, erkennt die ukrainische Bevölkerung ein Muster in den russischen Attacken auf Infrastruktur. "Alle zwei Wochen werden Angriffe auf Energieunternehmen gesetzt. Wenn die Ukraine verkündet, 'wir haben den Wiederaufbau geschafft', kommt die nächste Welle", so Gerstl. Russland würde "jetzt einen Angriff gegen die Zivilbevölkerung führen, um diese zu zermürben." Doch die Menschen hätten keine Angst. "Uns hat beeindruckt, dass die Menschen nicht aufhören, für die Freiheit zu kämpfen", erzählte Gerstl. "Sie sagen, sie kämpfen nicht nur für die Ukraine, sondern für Freiheit", und seien dankbar für die Hilfe von Österreich und der EU.
Wo die Ukraine liege, könne man mittlerweile an einem Satellitenbild schnell erkennen, meinte Gerstl: Dort, wo es finster sei, befinde sich die Ukraine. "Die Menschen haben keinen Strom, die Menschen haben kein Wasser, die Menschen haben keine Heizung."
Ernst-Dziezic ortet "Luft nach oben"
Die große Herausforderung sei, so die grüne Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic, die Menschen über den Winter zu bringen. Österreich könne in dieser Angelegenheit durch die Bereitstellung von Infrastruktur helfen. "Die humanitäre Hilfe kommt tatsächlich an, das haben wir gesehen." Man müsse allerdings Bürokratie abbauen, damit die Hilfe schneller ankomme. Außerdem könne Österreich bei der Dokumentation von Kriegsverbrechen helfen und die Ukraine durch das Beharren auf Sanktionen gegen Russland unterstützen, meinte Ernst-Dziedzic. Das Außen- und das Justizministerium seien zwar in die Aufklärung der Verbrechen involviert, hätten aber noch "Luft nach oben". 24.000 Kriegsverbrechen habe das ukrainische Center for Civil Liberties dokumentiert, so Brandstätter. Der Generalstaatsanwalt spreche von 40.000. "Alle, die jetzt Kriegsverbrechen begehen, wissen, sie werden irgendwann den Ratko Mladic machen", kündigte Brandstätter an. Danach gefragt, ob Österreich den Holodomor - eine in der Sowjetunion unter Stalin herbeigeführte Hungersnot in der Ukraine - als Kriegsverbrechen anerkennen werde, meinte er: "Für mich ist es ein Genozid, ja. Aber der (parlamentarische, Anm.) Beschluss wird etwas anders lauten." Die Regierungsvertreter Gerstl und Ernst-Dziedzic vermieden eindeutige Antworten auf die Frage.
Die Delegation betonte, dass die Ukraine europäische Werte verteidige. Das Land bemühe sich intensiv um den Beitritt zur EU. Die Menschen würden bereits über die Zukunft reden, sagte Brandstätter. "Sie sagen: ,Wir müssen über die Zukunft reden. Wir werden uns wehren, wir werden gewinnen. Dann werden wir eine europäische Zukunft haben.'" Ihm zufolge "wird auch darüber geredet, dass es Korruption in der Ukraine gibt und wie sie beendet werden kann." Laut der Vizepremierministerin Olha Stefanishyna sei beispielsweise ein neues Mediengesetz in Vorbereitung, so Brandstätter.
"Uns hat die Professionalität imponiert"
Zielstrebig dürfte in der Ukraine auch die Verteilung von Hilfsgütern ablaufen, wie Johannes Kuhn von Apotheker ohne Grenzen sagte. "Schon bei der ersten Fahrt haben wir den Eindruck gewonnen, dass diejenigen, die die Waren übernehmen, einlagern, sortieren, sehr engagiert sind" - unabhängig vom Alter. "Uns hat die Professionalität imponiert, die bereits im März Platz gegriffen hatte."
Kuhn, der laut eigener Aussage bereits achtmal in der Ukraine war, äußerte sich auch zur Frage der Neutralität: "Als Sanitätsoffizier wäre es für mich selbstverständlich eine Verpflichtung, einem bedürftigen fremden Soldaten die entsprechende Hilfe angedeihen zu lassen. Das hat mit Neutralität nichts zu tun. Wir - das sage ich als Apotheker - sind der Humanität und Gesundheit verpflichtet."
Der Wille der ukrainischen Bevölkerung, sich gegen eine Niederlage zu wehren, lasse sich übrigens an Flüchtlingszahlen ablesen, befand die parlamentarische Ukraine-Gruppe. Ernst-Dziedzic zufolge gebe es 7,8 Millionen Flüchtlinge, die meisten davon seien allerdings Binnenflüchtlinge, also Menschen, die an einen anderen Ort im selben Land fliehen. Weiters, so Gerstl, seien zwei Millionen Menschen nach Kiew zurückgekehrt, nach Charkiw eine Million. Brandstätter gab zu bedenken, dass es wieder zu Fluchtbewegungen kommen könne, wenn die Menschen allzu lange frieren würden.
Kein Waffenstillstand?
Ein Waffenstillstand zeichne sich indes nicht ab. "Solange die Russische Föderation der Meinung ist, dass die Ukraine ausgelöscht gehört, brauchen wir uns nicht vorzumachen, dass man sich bald an den Verhandlungstisch setzt" - so wichtig die Aussicht auf Frieden auch sei, betonte Ernst-Dziedzic. Brandstätter zufolge habe der Vizepräsident des ukrainischen Parlaments, Oleksandr Kornijenko, gesagt: "Frieden wird es erst geben, wenn Putin die letzte Rakete geschossen hat."
Zweite Reise in Ukraine
Die aktuelle Reise war die zweite der Bilateralen Parlamentarischen Gruppe Ukraine, Moldau, Belarus in das Kriegsland. Die dritte ist für Frühjahr 2023 anvisiert. Dass die FPÖ nicht Teil der jetzigen Delegation war, "bedauert" Brandstätter. Die wohlwollende Deutung dieses Verhaltens sei, dass die Partei "ahnungslos" sei, was den Ukraine-Krieg angehe.
Zum Abschluss wurde Brandstätter geradezu emotional. "Die Ukraine redet davon, wie sie dieses Land neu aufbauen wird. Bei aller Bedrückung und bei allen Schrecklichkeiten, die wir gesehen haben, war jeder Termin ein Termin, bei dem wir über die Zukunft geredet haben. Dieser Optimismus, diese Zukunftsfreude - da kämpft ein Volk um die eigene Freiheit gegen einen Kriegsdiktator. Bei aller Schrecklichkeit: Das motiviert mich wahnsinnig."
(APA/Red)