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Sieben Sekunden ins Gehirn

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Wenn der Tabak glimmt, wird das Nikotin freigesetzt. Gebunden an die winzigen Teerteilchen im Rauch gelangt es in die Lunge und von dort ins Blut. Und nach sieben Sekunden ins Gehirn.

Da Nikotin die Eigenschaft besitzt, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, die viele andere Giftstoffe stoppen kann, erreichen die Nikotinmoleküle schon sieben Sekunden später das Gehirn, heften sich dort an die Nervenzellen und beeinflussen deren Aktivität. Das lässt sich mit modernen Verfahren sogar auf dem Bildschirm verfolgen.

Rezeptoren-“Piraterie”
Was in diesem Beitrag als “Nikotin-Rezeptoren” bezeichnet wird, sind in Wirklichkeit Rezeptoren, die auf Acetylcholin reagieren. Nikotin ist diesem Neurotransmitter (Botenstoff) sehr ähnlich, sodass die Acetylcholin-Rezeptoren auch von Nikotin angesteuert werden können.

Schnelle Wirkung – schnelle Sucht.
“Nikotin ist eine der am schnellsten süchtig machenden Substanzen. Es hat nicht nur psychostimulierende Wirkungen wie Kokain oder Amphetamin, sondern stößt im Gehirn die gesamte Breite der Neuromodulatoren an und wirkt wie der Dirigent in einem Konzert auf viele Instrumente ein”, erläutert Professor Lutz Schmidt aus Berlin.

Nikotin greift an zwei verschiedenen Kompartimenten an, den präsynaptischen und postsynaptischen Nikotin-Rezeptoren. Bei Bindung an die Rezeptoren kommt es zur Ausschüttung unterschiedlicher Neurotransmitter wie Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und Endorphinen. Diese beeinflussen bekanntlich verschiedene funktionale Strukturen des Gehirns, wobei es individuelle Variationen gibt.

Die nikotinergen Rezeptoren haben einen sehr engen Bezug zum präfrontalen Cortex. “Dadurch wird verständlich, dass Hirnfunktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Lernen durch Nikotin verbessert werden.”

Pseudo-Sex?
Außerdem bestehe eine enge räumliche Beziehung zum dopaminergen Belohnungssystem, einer entwicklungsgeschichtlich entscheidenden Struktur. Sie wirkt auf Funktionen wie Essen, Trinken und Sexualität, die notwendig sowohl für die Existenz des einzelnen Menschen als auch für das Überleben der Art sind.
Beim Rauchen belohnt sich der Mensch also ebenso wie bei der Ausführung existentieller Handlungen.

Die besondere Wirkung des Nikotins auf das Gehirn besteht in einer Catecholaminfreisetzung in den sogenannten Belohnungsarealen der Großhirnrinde. Dies in Verbindung mit dem sensiblen oralen Reiz des Rauchens bewirkt die “positiven” Gefühle des Rauchens.

Zigaretten enthalten eine ganze Reihe von Substanzen, die sich in ihrer Suchtwirkung potenzieren. Ammonium (dem Tabak bei der Verarbeitung künstlich zugesetzt) beispielsweise wirkt wie ein Beschleuniger für das Nikotin. Der im Tabakblatt enthaltene bzw. künstlich zugesetzte Zucker verbrennt beim Rauchen, wobei u. a. das ebenfalls süchtigmachende Acetaldehyd entsteht. Dieser Stoff bewirkt eine Reduzierung des Enzyms MAO-B (Monoaminooxidase B), das im Gehirn Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin abbaut. Man hat festgestellt, dass Raucher bis zu 40 Prozent weniger MAO-B haben als Nichtraucher. Dementsprechend mehr Dopamin und Serotonin wirken auf das Gehirn ein, was wie beim Nikotin als angenehm empfunden wird und somit das Suchtpotential erhöht.

Auch diverse andere Drogen wirken als MAO-B-Hemmer, zum Beispiel Tollkirsche und Stechapfel. All diese Zusammenhänge sind aber immer noch Gegenstand der aktuellen Forschung. Mit weiteren Erkenntnissen wird auch in Zukunft zu rechnen sein.
Übrigens wirkt Alkohol an den selben Rezeptoren wie Nikotin. Er blockiert diese, was dazu führt, dass mehr geraucht werden muss, um sich entspannt zu fühlen.

Rauchen stresst.
Viele Raucher behaupten, mit Hilfe der Zigarette könnten sie besser Stress abbauen. Das Gegenteil ist der Fall, sagt Andy Parrott, Psychologe an der University of East London. Wer raucht, um Stress abzubauen, fügt sich selbst nur weiteren Stress zu, denn der scheinbar entspannende Effekt des Rauchens kommt nur dadurch zustande, dass durch den Griff zur Zigarette die Spannung, die durch ein Sinken des Nikotin-Levels entstanden ist, wieder aufgehoben wird.

“Die gewohnheitsmäßigen Raucher brauchen jedoch bald eine weitere Zigarette, um die neuen Abstinenzsymptome, die sich wieder einstellen, zu bekämpfen. Das wiederholte Empfinden negativer Stimmungen zwischen den Zigaretten bedeutet, dass Raucher dazu neigen, ein leicht überdurchschnittliches täglich Stress-Niveau zu erleben. Somit scheint Nikotin-Abhängigkeit eine direkte Ursache von Stress zu sein,” erläutert der Professor. Die Stress-Symptomatik, die bei Erwachsenen festzustellen ist, lässt sich auch bei jugendlichen Rauchern aufzeigen.

Das stärkste Argument für seine These sind aber Forschungsergebnisse, die belegen, dass das Abgewöhnen des Rauchens Stress reduziert: Mehrere frühere Studien belegen, dass ehemalige Raucher sich als weniger gestresst erwiesen als jene, die immer noch rauchen. Es gibt indes auch Studien, die keinen Unterschied im Stress-Empfinden zwischen Rauchern und neuen Nicht-Rauchern ausmachen können. Aber: Keine einzige Studie konnte zeigen, dass ehemalige Raucher gestresster seien als Immer-noch-Raucher.

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