Über wenige Filme außerhalb des Wettbewerbs wurde im Vorfeld der Berlinale in Foren so gerätselt wie über “Shirley – Visions of Reality” von Gustav Deutsch. Die Filmstills ließen eine zwar sehr konzeptuell anmutende, aber dennoch atemberaubende Belebung von 13 Gemälden des US-Realisten Edward Hopper erwarten. Kunstinteressierte hatten zudem bereits 2008 und 2009 in interaktiven Installationen in Wien (Kunsthalle) und Mailand die Gelegenheit, sich in den gebauten Filmsets auf Video zu verewigen.
Shirley – Visions Of Reality: Die Kritik zum Film
Die Sets sind stets auf eine bestimmte Kameraposition hin gebaut worden, der jeweilige Blickwinkel ändert sich daher in den 13 Szenen nicht. Die dreidimensionale Rekonstruktion der Hopper-Gemälde ist perspektivisch verzerrt und detailgenau mittels Licht- und Schatteneinsatz abgestimmt. Die Menschen in den Sets bewegen sich langsam, sehr bewusst, jedes Bild wird für sich zu einem kleinen Leinwandgemälde. Aus dem Off wird zudem der innere Monolog der Hauptdarstellerin (Stephanie Cummings) vorgetragen, einer Schauspielerin im Amerika der 30er, 40er, 50er und frühen 60er Jahre.
Die Stimme bleibt in ihrer Auseinandersetzung mit den beruflichen und privaten Gegebenheiten – von den Depressionsjahren über den Weltkrieg bis zur McCarthy-Ära – meist ruhig und sachlich, die Räume wirken mit den flächigen Farbtexturen hoch künstlich, die Performances sind ausdrucksstark und dennoch zurückgenommen. Gustav Deutsch hat sichtlich kein Interesse, sich am vermeintlichen Realismus Hoppers abzuarbeiten, sondern vielmehr einen eigentümlichen Raum für eine Lebensgeschichte zu schaffen. Das Ergebnis ist vielleicht nicht sinnlich, aber intellektuell höchst faszinierend.