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Serbien über Den Haag auf EU-Kurs

Am Mittwoch wird einer der meist gesuchten mutmaßlichen Kriegsverbrecher nach Den Haag reisen. Dem Ex-Kommandanten der bosnisch-serbischen Brigade, Pandurevic wird Völkermord-Mitverantwortung angelastet.

„Im nationalen Interesse des Staates und Volkes.“ In den letzten Wochen kommt in den Aussendungen der serbischen Regierung immer wieder diese Formulierung vor, wenn die Absicht des einen oder anderen Kriegsverbrechers angekündigt wird, sich dem UNO-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag zu stellen.

In der Umgebung der ostbosnischen Kleinstadt wurden Mitte Juli 1995 rund 7.800 Srebrenica-Einwohner von den bosnisch-serbischen Truppen ermordet. Pandurevic soll mitverantwortlich sein. Pandurevic ist der achte serbische bzw. bosnisch-serbische Angeklagte, der sich seit Anfang Februar dem UNO-Tribunal stellt. Serbien werde in der „bevorstehenden Zeitspanne“ alle Verpflichtungen gegenüber dem Haager Tribunal erfüllen, versicherte der serbische Regierungschef Vojislav Kostunica am Dienstag in Brüssel. Der Ministerpräsident hatte neuerdings wiederholt stolz darauf hingewiesen, dass seinem Kabinett geglückt sei, was seine Amtsvorgänger nach der politischen Wende im Jahr 2000 nicht umzusetzen vermochten. Die Betonung wird dabei darauf gelegt, dass es sich um freiwillige Übergaben der Haager Angeklagten und nicht etwa um ihre Festnahme handelt.

Woher diese plötzliche Übergabebereitschaft der Angeklagten, die meist seit Jahren mit der Haager Anklage konfrontiert sind, kommt, ist noch unbekannt. Laut dem serbischen Vizeministerpräsidenten Miroljub Labus dürfte es sich um eine einfache Formel handeln. Die Haager Angeklagten seien um die Zukunft ihrer Familien besorgt. „Wir sind bereit, ihren Familien zu helfen. Dies ist eine einfache Botschaft an alle Haager Angeklagten“, versicherte Labus am heutigen Mittwoch gegenüber dem Sender B-92. Was konkret hinter dem Versprechen steckt, sagte der Vizepremier nicht.

Belgrader Medien hatten Anfang Februar, als sich dem UNO-Tribunal einer der vier wegen der Kriegsverbrechen im Kosovo (1999) angeklagten serbischen Generäle stellte, errechnet, dass die Familie von Vladimir Lazarevic mit etwa 250.000 Euro vom Staat bedacht werde. Es hieß, dass die Familie neben einer Wohnung und Stipendien für zwei Söhne im Studentenalter auch noch manch andere Hilfe erhalten soll. Inzwischen steht auch ein neuer Wagen für einen der Lazarevic-Söhne vor der Tür.

Das offizielle Belgrad entschloss sich, den Weg in Richtung EU entschlossen einzuschlagen. Mit den neuesten Übergaben ist man offenbar bemüht, zunächst einmal eine positive EU-Machbarkeitsstudie zu erhalten. Diese soll Mitte April vorliegen.

Allerdings bleibt der serbischen Regierung gerade im Bereich der Zusammenarbeit mit dem UNO-Tribunal noch viel zu tun. Erst im vergangenen Sommer war einer der Angeklagten, der ehemalige kroatische Serbenführer Goran Hadzic, nur wenige Stunden vor der Festnahme untergetaucht. Auch die beiden meistgesuchten Angeklagten – Radovan Karadzic und Ratko Mladic – sind noch auf der Flucht. Dabei ist vor allem für den Letzteren Belgrad zuständig. Mladic hatte bis vor drei Jahren völlig ungehindert in der serbischen Hauptstadt gelebt.

Karadzic liegt andererseits in der Zuständigkeit der bosnisch-serbischen Regierung. In Banja Luka, die neuerdings bei den Versuchen der serbischen Regierung, die Angeklagten zur Übergabe zu überreden, eng kooperiert, war am Dienstag eine Kampagne unter dem Motto „Wir oder sie“ gestartet. Mit der Parole „Entweder sie in Den Haag, oder wir zum Teufel“ ist man bemüht, der heimischen Öffentlichkeit die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal endlich plausibel zu machen.

Der serbischen Regierungschef Kostunica stehen in den kommenden Wochen auch unangenehme Aufgaben bevor. Zwei der serbischen Generäle – Ex-Generalstabchef Nebojsa Pavkovic und Ex-Polizeigeneral Sreten Lukic – wollen sich nicht freiwillig stellen. Seitens der Regierung wird beteuert, dass im Notfall Festnahmen nicht mehr vermieden werden könnten.

Die führende serbische Oppositionspartei, die ultranationalistische Serbische Radikale Partei (SRS) des Haager Häftlings Vojislav Seselj, ist unterdessen auffallend bemüht, die Übergaben nicht zu kommentieren. SRS-Spitzenfunktionär Tomislav Nikolic kündigte aber bereits an, dass sich seine Partei für den Sturz der Regierung einsetzen werde, liege einmal eine positive EU-Machbarkeitsstudie vor. Einen Strich durch die Rechnung dürfte den Ultranationalisten allerdings die Demokratische Partei (DS) des serbischen Präsidenten Boris Tadic mit ihrer Unterstützung für das Kabinett Kostunicas ziehen. Eine eventuelle Neuwahl und die erwarteten guten Ergebnisse für die Ultranationalisten würden die EU-Annäherung des Landes wenn schon nicht stoppen, dann doch wesentlich verlangsamen.

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