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Serbien: Droht Djindjic Misstrauensvotum?

Ein erneutes Scheitern der Präsidentenwahl in Serbien führt wohl zu vorgezogenen Parlamentswahl. Ministerpräsident Djindjic dürfte die Parlaments-Mehrheit nur schwer halten.

Dem kürzlich gebildeten regierungstreuen Klub „DOS-Reformen Serbiens“ gehören nämlich nur noch 88 der 250 Abgeordneten im serbischen Parlament an. Er wird aber vorerst von einigen anderen Fraktionen unterstützt, die nach dem Zerfall der Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) entstanden sind. Die Expertengruppe „G-17 plus“ will unterdessen eine eigene Partei gründen, um eine Fortsetzung des ins Stocken geratenen Reformkurses zu garantieren.

Der Favorit bei der Präsidentenwahl, das jugoslawische Staatsoberhaupt Vojislav Kostunica, der seinen Wahlkampf am vergangenen Wochenende gestartet hatte, will seine Landsleute mit wiederholten Appelle zur Teilnahme an der Wahl zu bewegen. Sollte die Wahlbeteiligung am 8. Dezember erneut unter der vorgeschriebenen 50-Prozent-Grenze liegen, wird Kostunica wohl der serbischen Regierung die Schuld dafür geben: „Wenn die Wahl erneut scheitert, werden sich die Regierung der Republik und die instabile Parlamentsmehrheit nicht der Verantwortung entziehen können“, sagte Kostunica.

Kostunica warf der Regierung vor, die Wahl „zur Unzeit“ abzuhalten. Djindjic sei allein an den unvollständigen Wählerverzeichnissen Schuld. Dass die Wählerverzeichnisse ein Problem sind, ist den politischen Parteien der einstigen Demokratischen Opposition Serbiens (DOS) noch aus den Zeiten des früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic bekannt. Dessen Regime hatte sich nie bemüht, die Wählerverzeichnisse, die einen riesigen Spielraum für Manipulationen bieten, in Ordnung zu bringen. Auch die Demokratische Partei Serbiens (DSS) zeigte in den vergangenen zwei Jahren kein allzu großes Interesse daran.

Nach Worten des Mitarbeiters des Belgrader Zentrums für freie Wahlen und Demokratie (CESID), Marko Blagojevic, geht es dabei nicht nur um verstorbene Personen, die noch immer im Wählerverzeichnis aufscheinen, sondern auch um Personen, die lediglich umgezogen sind und sich am früheren Wohnort nicht abgemeldet haben. Sie können daher ihr Wahlrecht doppelt oder gar mehrfach in Anspruch nehmen. Zu „Phantomwählern“ zählen auch Personen, die nach einer Namensänderung oft sowohl unter dem neuen wie auch unter dem alten Namen im Wählerverzeichnis geführt werden. Zumeist sind das Frauen nach ihrer Heirat.

„Notgedrungene Wahlabstinente“ seien dagegen Studenten, die am Wahltag am Heimatort sind, aber auch Hunderttausende Gastarbeiter im Ausland. Entsprechend Gesetzesänderung vor zwei Jahren wurde das Wahlrecht auch Krankenhauspatienten, Versehrten und Gefängnisinsassen genommen.

Kostunica wird bei seiner Präsidentschaftskandidatur von siebzehn neuen und einstigen DOS-Parteien unterstützt, zwei weitere politische Parteien aus dem Regierungsbündnis – die Christdemokratische Partei und die Liga der Sozialdemokraten der Vojvodina – haben zum Wahlboykott aufgefordert. Wie viele DOS-Abgeordneten im serbischen Parlament nach einem Scheitern der Präsidentenwahl ein Misstrauensvotum gegen die Regierung von Djindjic unterstützen würden, steht noch in den Sternen.
Das Regierungsbündnis sei eine „Notehe“, die mindestens bis Herbst 2003 am Leben bleiben solle, meinte etwa Führer der Demokratischen Partei vom Sandschak, der jugoslawische Minderheitenminister Rasim Ljajic. Seiner Ansicht nach sollen vor der Wahl eine Reihe wichtiger Reformgesetze sowie eine neue Verfassung Serbiens beschlossen werden.

Die anhaltenden Rivalitäten zwischen den zwei führenden ehemaligen DOS-Parteien, der Demokratischen Partei Serbiens (DSS) von Kostunica und der Demokratischen Partei (DS) von Djindjic haben die Belgrader Expertengruppe „G-17 plus“ inzwischen dazu bewegt, für Mitte Dezember eine Parteigründung in Aussicht zu stellen. Nach jüngsten Meinungsumfragen könnte „G-17 plus“ die viertgrößte serbische politische Partei hinter der DSS, der DS, und der Serbischen Radikalen Partei (SRS) des Ultranationalisten Vojislav Seselj werden. Verluste müsste vom Antreten der „G-17 plus“ vor allem die DS befürchten. Manch ein Anhänger Djindjics war bisher nämlich auch Mitglied der Expertengruppe. Andererseits könnte die Expertenpartei sowohl mit Kostunica als auch mit Djindjic eine Koalition eingehen.

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