Selenskyj droht mit Abbruch der Gespräche - Mariupol und Cherson als Knackpunkte

Bei einer Pressekonferenz in einer U-Bahn-Station der Hauptstadt Kiew hat Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj am Samstag erneut einen möglichen Abbruch jeglicher Gespräche mit Russland für ein Ende des Krieges ins Spiel gebracht.
Selenskyj droht in Pressekonferenz mit Verhandlungsabbruch
"Wenn unsere Leute in Mariupol vernichtet werden, wenn ein Pseudoreferendum über die Unabhängigkeit in Cherson stattfindet, dann tritt die Ukraine aus allen Verhandlungsprozessen heraus." Er sei aber weiter zu Verhandlungen bereit, so Selenskyj.
Der Präsident erneuerte auch die prinzipielle Disposition, direkt mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zu sprechen. Bei der aus einer unterirdischen Metrostation live im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz saß der Präsident auf einem Stuhl auf einer kleinen Bühne. Die Station war von Scheinwerfern erleuchtet und mit ukrainischen Nationalflaggen ausgestattet.
Ukrainischer Präsident fürchtet keine Attentate
Unter den Teilnehmern waren etwa der stellvertretende Leiter des Präsidentenbüros, Kyrylo Tymoschenko, und Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. Beide nehmen an den Verhandlungen mit der russischen Delegation teil. Selenskyj sagte, er fürchte keine Attentate bei einem Treffen in einem Drittstaat. "Zu Attentaten: Ich fürchte sie nicht sehr, meine Leibwache fürchtet sie sehr, genauso wie meine Familie."
Die Metrostationen im Zentrum der Millionenstadt Kiew wurden von der Sowjetunion als Luftschutzkeller für den Fall eines Atomkrieges konzipiert und dienen auch heute Zivilisten als Schutzräume.
Ukraine nur der Anfang: Warnung vor russischen Angriffen auf weitere Länder
Selenskyj reagierte in seiner allabendlichen Videobotschaft auch auf Russlands Konkretisierung seiner Kriegsziele. Das Gebiet, in dem Russland sich um die Rechte der Russischsprachigen kümmern sollte, "ist Russland selbst". Zugleich warnte er vor russischen Angriffen auf weitere Länder. Die Ukraine sei nur der Anfang, danach wolle Russland weitere Länder erobern. "Alle Völker, die wie wir an den Sieg des Lebens über den Tod glauben, müssen mit uns kämpfen. Sie müssen uns helfen, denn wir sind die Ersten in der Reihe. Und wer wird der Nächste sein?", so Selenskyj in seiner Videobotschaft.
Er reagierte damit auf Äußerungen eines russischen Generals vom Freitag, wonach Russland nicht nur die gesamte Donbass-Region im Osten sondern auch den Süden der Ukraine einnehmen wolle bis hin zu Transnistrien, ein von prorussischen Separatisten kontrollierter Teil Moldaus. Die Regierung in Moldau zeigte sich besorgt. Das Außenministerium bestellte den russischen Botschafter ein.
Selenskyj rief Bürger zum weiteren Widerstand auf
Des Weiteren rief Selenskyj die Bürgerinnen und Bürger seines Landes zum Widerstand gegen den russischen Angriffskrieg auf. "Jeder muss sich bei jeder Gelegenheit gegen die Besetzung wehren." Die Menschen sollten nicht mit den Russen kooperieren. Jene, die in von russischen Einheiten kontrollierten Gebieten lebten, sollten diesen "so viele Probleme wie möglich machen".
Am Freitag hatte ein russischer hochrangiger Militär gesagt, in der zweiten Phase des Krieges in der Ukraine wolle man den Donbass im Osten sowie den Süden des Landes einnehmen und da sei noch ein Zugang zu Transnistrien, wo auch eine "Unterdrückung der russischsprachigen Bevölkerung" festgestellt werde. Russland begründet mit dieser Argumentation auch seinen Angriffskrieg in der Ukraine. In der von der Republik Moldau abtrünnigen Region Transnistrien sind russische Truppen stationiert.
Selenskyj sagte weiter, in Russland gebe es weder Meinungs- noch Wahlfreiheit. Es gedeihe Armut und Menschenleben hätten dort keinen Wert. Die Aussagen aus Russland bestätigten zudem, was er bereits mehrmals gesagt habe: "Dass die russische Invasion in die Ukraine nur der Anfang sein sollte und sie danach andere Länder einnehmen wollen."
Mehr als 1.200 verschüttete Zivilisten unter Trümmern befreit
Insgesamt haben seit Beginn des russischen Angriffskrieges in der Ukraine vor zwei Monaten ukrainische Rettungskräfte mehr als 1.200 unter Trümmern verschüttete Zivilisten befreit. Das teilte der ukrainische Innenminister Denys Monastyrskyj in einer auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft mit. Zudem seien mehr als 70.000 Einheiten verschiedener Arten von Munition oder Sprengsätzen unschädlich gemacht worden, darunter 2.000 Fliegerbomben, sagte Monastyrskij weiter. Rund 12.000 Hektar Land seien auf Sprengfallen abgesucht worden.
Treffen mit US-Ministern in Kiew
Der ukrainische Präsident hat auch überraschend einen Besuch einer hochrangigen US-Delegation für diesen Sonntag in Kiew angekündigt. "Ich denke nicht, dass es ein großes Geheimnis ist. Morgen werde ich ein Treffen mit dem US-Verteidigungsminister (Lloyd Austin) und mit Außenminister (Antony) Blinken haben", so Selenskyj.
Er hoffe, dass auch US-Präsident Joe Biden - "sobald es die Sicherheitssituation zulasse" - nach Kiew komme. Mit Austin und Blinken werde er über die "Liste der notwendigen Waffen und über die Geschwindigkeit ihrer Lieferung" reden. In der vergangenen Woche hätten sich die Nachrichten zu Waffenlieferungen verbessert, meinte Selenskyj. Anfragen beim US-Außen- und beim Verteidigungsministerium zu dem Besuch blieben am Samstag zunächst unbeantwortet.
Zuvor hatte Blinken den ukrainischen Ministerpräsidenten Denys Schmyhal in Washington empfangen und ihm weitere Unterstützung durch die USA zugesichert, wie das US-Außenministerium mitteilte. Schmyhal zeigte sich bei seinem Besuch optimistisch. Die Ukraine wird nach eigenen Angaben im Krieg mit Russland sehr bald siegreich sein. "Wir sind uns absolut sicher, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen wird, und zwar in sehr kurzer Zeit", sagte Schmyhal im amerikanischen Fernsehsender CNN.
(APA/Red)