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Seeing Voices - Trailer und Kritik zum Film

Emil zeigt auf die Ente im Bilderbuch, führt seine rechte Hand vor die Nase, fächert sie auf und schließt sie wieder. Noch nicht mal ein Jahr alt, kann er mit Gebärden Dinge benennen, die in diesem Alter in Lautsprache noch nicht möglich sind. Mit dem jüngsten Protagonisten beginnt und endet "Seeing Voices", Dariusz Kowalskis faszinierende Doku über rein visuelle Kommunikation.

Als wir Emil Hager das erste Mal sehen, ist er noch ein Säugling und mit seinen Eltern beim Arzt. Eine Untersuchung legt den Verdacht nahe, dass er – wie seine Eltern, aber anders als seine ältere, hörende Schwester Caroline – gehörlos ist. Die Eltern reagieren ruhig; den Rat des Arztes, möglichst bald zu operieren und ein Cochlea-Implantat einzusetzen, wehren sie ab. Ihr Sohn sei noch zu klein, er solle lieber zuerst die Gebärdensprache erlernen, sagt Barbara Hager, Psychologin und Mitbegründerin des Vereins österreichischer gehörloser Studierender. “Mein Mann und ich haben uns auch so gut entwickelt.”

Neben der Familie Hager begleitet “Seeing Voices” die junge Ayse, die bei der Berufsorientierung mehr Selbstbewusstsein erlangen will. Von einem früheren Lehrer wurde sie geschlagen, von ihren Eltern nicht ernst genommen, weil sie sich nicht mitteilen konnte – dementsprechend scheut sie die Kommunikation mit Hörenden. Geschafft hat es die Grünen-Nationalratsabgeordnete Helene Jarmer, die bei Vorträgen und in ihrer parlamentarischen Arbeit für gleichwertige Bildungschancen für gehörlose Kinder plädiert. Möglich ist ihr das nicht zuletzt deshalb, weil sie zwei Dolmetscher an ihrer Seite hat.

Ein Jahr lang hat der in Krakau geborene und in Wien lebende Kowalski die Gebärdensprache erlernt, um mit seinen abseits der Gehörlosigkeit sehr unterschiedlichen Protagonisten direkt in Kontakt treten zu können. Sein Zugang ist nicht der, das Nicht-Hören zu problematisieren. Er verortet das Defizit vielmehr in einer Gesellschaft, zu der Betroffene noch immer parallel und unsichtbar existieren. Zwar ist die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) hierzulande als vollwertige Sprache verfassungsrechtlich anerkannt. Bei der Gleichstellung aber hakt es noch gewaltig: Nur ein Bruchteil der 10.000 Gehörbeeinträchtigten des Landes haben die Matura; nur 50 einen Studienabschluss.

Seeing Voices – Die Handlung und Kritik

Auch gestalterisch stellt sich Kowalski ganz auf sie ein, verzichtet weitgehend auf gesprochene Sprache und bei Unterhaltungen in Gebärden auf Schnitte und Voice-over. Stattdessen wird der gesamte Film untertitelt, auch Hintergrundgeräusche wie Klavierklimpern und Gerätesurren werden verschriftlicht. Das bannt eine ganz besondere, lebhafte Stimmung auf die Leinwand, die Hörenden üblicherweise verschlossen bleibt, und verlangt ebendiesen hohe Konzentration ab: Es dauert eine Weile, bis man sich an die Stille gewöhnt und zwischen den visuellen Eindrücken und den Untertiteln orientiert hat.

Wer einfach zusieht, wird Vorurteile abbauen und eine Faszination für diese Sprache entwickeln, die fernab der Akustik über fantasievolle Zeichen, ausdrucksstarke Mimik und teils ganzem Körpereinsatz funktioniert. Es macht Freude, zuzusehen, wie Caroline beim Memory-Spiel mit ihrem Vater zwischen Laut- und Gebärdensprache wechselt, ein Freundeskreis für ein gehörloses Mädchen “Happy Birthday” gebärdet und sich beim Versuch von Ayse und ihren Mitschülerinnen, die Lippen einer fiktiven Vorgesetzten zu lesen, schräge Interpretationen ergeben. Man kann viel von Ayse und Co. lernen, die in schwierigen Situationen wie diesen den Humor erkennen; die nie aufgeben, um sich Gehör zu verschaffen. So dreht sich “Seeing Voices” auch stark um Stolz, Sprache und Identität – und ist ein kraftvolles, lehrreiches Plädoyer für mehr Kommunikation untereinander, in welcher Form auch immer.

>> Alle Filmstartzeiten zu “Seeing Voices”

(APA)

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