Die Bürger haben am Sonntag mit knapper Mehrheit das neue Osthilfegesetz und damit auch die so genannte Kohäsionsmilliarde gutgeheißen. Das Gesetz, das für weitere zehn Jahre die Unterstützung demokratischer und wirtschaftlicher Reformen in den ehemals kommunistischen Staaten Osteuropas ermöglicht, nahm die von der Rechten aufgebaute Referendumshürde mit 53,2 Prozent Ja-Stimmen gegen 46,8 Prozent Nein-Stimmen.
Mit Überzeugung hinter das Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit den Staaten Osteuropas stellten sich vor allem die Westschweiz und die städtischen Kantone. Waadt meldete mit 61,5 Prozent die größte Zustimmung. Genf und Jura sagten mit je 60,1 Prozent Ja, knapp übertroffen von Basel-Stadt mit 60,5 Prozent.
Nein hieß es in der Zentral- und Ostschweiz sowie im an Italien grenzenden Kanton Tessin. Das Spitzenresultat lieferte mit einer Ablehnung von 64,4©Prozent Glarus vor dem Tessin (62,9), Schwyz (61,3), Appenzell Innerrhoden (59,0), Obwalden (56,7), Thurgau (56,7), Uri (56,5) und Nidwalden (56,3).
Diese Volksabstimmung bedeutete also eine Schlappe für die Schweizerische Volkspartei (SVP), aber auch für die Schweizer Demokraten und die Aktion für eine neutrale und unabhängige Schweiz (AUNS). Sie hatten das Gesetz bekämpft, weil die Kohäsionsmilliarde eine erpresste Tributzahlung sei und das Gesetz einem Freibrief für weitere neue Zahlungen gleichkomme.
Stärker als die EU-Skepsis waren nach Einschätzung politischer Beobachter letztlich die Warnung vor einer Brüskierung der EU sowie das Argument, dass mehr Stabilität und Wohlstand in Osteuropa auch der Schweiz und vor allem der Wirtschaft nützen würde. Die Befürworter konnten auch darauf hinweisen, dass die Mittel je zur Hälfte bei der traditionellen Osthilfe eingespart und ohne Steuererhöhung aus der Bundeskasse aufgebracht werden.
Abstimmung zeigt Stadt-Landkonflikt
Die Schweizer Volksabstimmung über das Osthilfegesetz geht nach Angaben des Politologen Claude Longchamps in Richtung eines Stadt-Land-Konfliktes. In städtisch geprägten Kantonen sei mit einem höheren Ja-Anteil zu rechnen als in ländlichen, erklärte er gegenüber dem Schweizer Fernsehen (SF).
Longchamps erwartet ziemlich genau das europapolitische Abstimmungsmuster, das seit 15 Jahren bekannt sei. Die Westschweiz werde flächendeckend für das Osthilfegesetz und damit die Kohäsionsmilliarde stimmen. Im Tessin rechnet Longchamps mit einer klaren Ablehnung. Der Experte geht davon aus, dass neben der ländlichen Innerschweiz auch ein Großteil der Ostschweiz gegen die Vorlage stimmen wird.
SF-Europakorrespondent Christoph Nufer berichtete aus Brüssel, die Abstimmung sei am Sonntag in Brüssel kein großes Thema. Kommissionspräsident José Manuel Barroso und Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner seien im Ausland. Die zehn neuen Mitgliedstaaten hingegen wüssten sehr genau, worum es bei der Abstimmung geht, fügte Nufer hinzu.
Entgegen Spekulationen in der Schweiz vertrete Brüssel nicht die Meinung, die Kohäsionsmilliarde sei der Preis an die EU für den erfolgreichen Abschluss der bilateralen Abkommen mit Bern gewesen. Nufer berichtete, Barroso habe bereits im Juni betont, dass diejenigen etwas zahlen sollen, die vom EU-Binnenmarkt profitieren wollen.