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Schweizer entscheiden über Mindestlohn und Kampfjets

Abstimmungen auch zu Fachausbildung für Hausärzte sowie Verbot von "Kinderberufen" für Pädophile.
Abstimmungen auch zu Fachausbildung für Hausärzte sowie Verbot von "Kinderberufen" für Pädophile. ©DPA
Wollen wir uns einen der höchsten gesetzlichen Mindestlöhne der Welt leisten? Sollen wir zudem Milliarden für neue Kampfflugzeuge ausgeben? Muss pädophilen Straftätern lebenslang jegliche Tätigkeit mit Kindern verboten werden? Und braucht das Land überall eigens ausgebildete Fachärzte für Hausmedizin? Das entscheiden die Schweizer am Sonntag in einer Woche (18. Mai) an der Urne.

Und wie schon oft an den jeweils vier eidgenössischen Referendums-Sonntagen pro Jahr wird es auch diesmal spannend. Als ganz sicher gilt nur ein Ja zur Stärkung der Hausarztmedizin. Am heftigsten umstritten ist der Mindestlohn.

22 Franken pro Stunde gefordert

Erstaunlich ist auf den ersten Blick die Höhe der Forderung: 22 Franken pro Stunde (18,07 Euro) verlangen die Gewerkschaften – das wäre eine der höchsten gesetzlichen Lohnuntergrenzen der Welt. Monatlich kämen Arbeitnehmer in der Schweiz dann auf mindestens 4.000 Franken (3.284,61 Euro) brutto. Die florierende Wirtschaft könne sich das leisten, argumentiert der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB). Zumal in der Eidgenossenschaft bereits jetzt nur rund 330.000 Arbeitnehmer weniger Geld bekommen. “Sie leisten qualifizierte Arbeit, ohne dass sie vom Lohn auch anständig leben könnten”, sagt SGB-Präsident Paul Rechsteiner auch mit Blick auf die Lebenshaltungskosten, die höher sind als in Österreich und den meisten anderen europäischen Staaten. “Das muss aufhören.”

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franken600 ©Mindestlohn: Gewerkschaften wollen 22 Franken (18,07 Euro) pro Stunde.

Regierung und Parlament dagegen

Die Regierung und das Parlament in Bern lehnen die Forderung ebenso ab wie sämtliche Wirtschaftsverbände. Sie warnen nicht allein vor einer drohenden Vernichtung von Arbeitsplätzen durch die Abwanderung von Unternehmen. Dem Tourismus und der Gastronomie, die nicht abwandern können, drohe ein Niedergang, wenn es keine halbwegs billigen Arbeitskräfte mehr gebe.

“Verheerend” für Standort Schweiz

Von einem “verheerenden Signal mit unabsehbaren Konsequenzen” für den Standort Schweiz spricht der Wirtschaftsverband Economiesuisse. “Auf dem Spiel stehen der liberale Arbeitsmarkt und die bewährte Sozialpartnerschaft”, sagt dessen Chefökonom Rudolf Minsch.

Die Warnungen haben beim Schweizer Stimmvolk ein Umdenken bewirkt. Als die Initiative Anfang 2013 gestartet wurde, sprachen sich in Umfragen noch 70 Prozent der Beteiligten dafür aus. Inzwischen lehnen mehr als 60 Prozent den 4.000-Franken-Mindestlohn ab. Doch Schweizer Referendumssonntage waren immer wieder für Überraschungen gut.

Knappes Ergebnis auch bei Kampfjets erwartet

Ein deutlich knapperes Ergebnis wird bei der nicht weniger umstrittenen Flugzeug-Abstimmung erwartet. Umgerechnet 2,6 Milliarden Euro will die Regierung in Bern für 22 Kampfjets vom Typ Gripen des schwedischen Herstellers Saab ausgeben.

“Neutrales Land braucht keine starke Luftwaffe”

Noch vor einigen Wochen war eine klare Mehrheit der Ansicht, ein neutrales Land wie die Schweiz brauche heute keine starke Luftwaffe mehr. Doch nicht zuletzt wohl angesichts des Vorgehens Russlands gegen die Ukraine werden auch in der Schweiz, die nicht zur NATO gehört, Erinnerungen an Bedrohungsszenarien aus dem Kalten Krieg wachgerufen. Der Anteil der Gripen-Gegner ist in jüngsten Umfragen auf etwa 52 Prozent deutlich geschrumpft.

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jet600 ©Regierung will 2,6 Mrd. Euro für 22 Kampfjets ausgeben.

Nein zu Mindestlohn, Ja zu Kampfjets?

So wäre es kein allzu großes Wunder, wenn die Schweizer am 18. Mai zwar zum Mindestlohn Nein, zu Kampfjets aber ganz knapp Ja sagen. Knapp reichen wird es wohl auch für die Pädophilen-Initiative. Die Kinderschutzorganisation Marche Blanche will durchsetzen, dass pädosexuelle Straftäter automatisch mit einem lebenslänglichen Verbot für Tätigkeiten mit Minderjährigen belegt werden. Allerdings ist die anfangs enorme Zustimmung dazu in Umfragen von 82 auf deutlich unter 60 Prozent gesunken.

Pädophilen-Initiative: Knappes Ja erwartet

Dabei wirkt sich aus, dass die Regierung kürzlich vorauseilend ein Gesetz beschlossen hat, dass Gerichten solche lebenslangen Verbote zwar ermöglicht, sie aber nicht zwingend vorschreibt. Richter können dadurch je nach Schwere der Straftat entscheiden und Unterschiede in der Schwere einer Straftat berücksichtigen – etwa zwischen brutaler sexueller Gewalt gegen kleine Kinder und Sex eines 18-Jährigen mit einer noch 14-jährigen Freundin.

Grundsätzlich haben die Schweizer bei besonders wichtigen Gesetzen das letzte Wort (obligatorisches Referendum). Aber auch zu allen anderen Beschlüsse des Parlaments muss eine Volksabstimmung angesetzt werden, wenn mindestens 50.000 Stimmberechtigte oder acht der 26 Kantone dies verlangen (fakultatives Referendum). Zudem können die Schweizer mit Volksinitiativen selbst Gesetze und Verfassungsänderungen erzwingen. Für die Ansetzung entsprechender Referenden sind mindestens 100.000 Unterschriften erforderlich. Nach Schätzungen finden mehr als 50 Prozent aller Volksabstimmungen weltweit allein in der Schweiz statt.

(APA)

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