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Schweiz: Leuenberger neuer Bundespräsident

Der neue Schweizer Bundespräsident heißt Moritz Leuenberger. Die Berner Bundesversammlung hat den Zürcher Sozialdemokraten mit 159 von 225 gültigen Stimmen turnusgemäß zum Staatsoberhaupt Amt gewählt.

Der 59-jährige Leuenberger (SP) löst am 1. Jänner 2006 den bisherigen Bundespräsidenten Samuel Schmid (SVP) ab. Er ist der dienstälteste Schweizer Bundesrat und seit 27. September 1995 Regierungsmitglied. Leuenberger war im Jahr 2001 bereits einmal Bundespräsident.

Von den abgegebenen 237 Stimmzetteln waren 10 leer und 2 ungültig, 56 Stimmen entfielen auf Leuenbergers Parteikollegin Micheline Calmy-Rey, 10 Stimmen auf andere Personen. Die SVP hatte im Vorfeld der Wahl angekündigt, Leuenberger nicht zu wählen, weil er schon mit der Leitung seines Ministeriums – Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation – überfordert sei. Stattdessen kündigte die Partei an, seine designierte Nachfolgerin Micheline Calmy-Rey zu wählen.

Mehr Kollegialität

Als Schweizer Bundespräsident will Moritz Leuenberger die Kollegialität in der Regierung stärken, für den Dienst an der öffentlichen Sache werben und die Jugend zu Wort kommen lassen. 2006 werde nicht sein letztes Jahr im Bundesrat (Regierung) sein. Er freue sich über das eindeutige Resultat, sagte Leuenberger.

Seiner Wahl sei ein eigentlicher Wahlkampf vorangegangen. Das sei absolut legitim, wenn es um politische Auseinandersetzungen gehe. Persönliche Verunglimpfungen seien aber gerade der Stil, den er sich nicht vorstelle. Nun wünsche er sich aber eine Zusammenarbeit mit allen politischen Kräften und Kulturen zum Vorteil des Landes, sagte Leuenberger. Im Bundesratskollegium werde er die Art der Sitzungsleitung des heurigen Bundespräsidenten, Verteidigungsminister Samuel Schmid (Schweizerische Volkspartei/SVP) nahtlos fortsetzen.

Die Kollegialität sei ein brennendes Problem. Er habe ihr immer das Wort geredet und sei von ihrer Wichtigkeit überzeugt. Sie sei aber nicht einfach zu leben. Auch ihm sei sie nicht immer gelungen. Für die Kollegialität brauche es den Willen aller sieben Bundesratsmitglieder, in dieselbe Richtung arbeiten zu wollen.

Als Bundespräsident wolle er sich für ein Engagement aller Kreise für die Res publica einsetzen, sagte Leuenberger. Namentlich wolle er die Jugend ansprechen. Er werde sich vor seinen Auftritten und vor den politischen Ritualen von Jugendlichen beraten lassen.

Bei den Auslandkontakten sei noch nicht alles geregelt. Fest stünden Staatsbesuche des norwegischen Königspaares und des österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer. Vorgesehen sei ein Besuch auf dem afrikanischen Kontinent und bei den Präsidentschaften der EU (Österreich und Finnland). Er sei für vier Jahre bis Dezember 2007 gewählt, sagte Leuenberger. Noch stehe nicht fest, ob er zu einer weiteren Legislatur kandidiere.


Porträt Leuenberger

Der Sozialdemokrat Moritz Leuenberger (SP) ist am Mittwoch zum zweiten Mal zum Schweizer Bundespräsidenten für 2006 gewählt worden. Der Energie-, Umwelt-, Kommunikations- und Verkehrsminister hatte das Amt bereits 2001 innegehabt. Der urban-intellektuelle Zürcher Sozialdemokrat und preisgekrönte Redner folgt als amtsältester Bundesrat auf den nüchtern-behäbigen Verteidigungsminister Samuel Schmid von der SVP (Schweizerische Volkspartei). Der Schweizer Bundespräsident wird jedes Jahr turnusmäßig gewählt. Er ist der Vorstand und Repräsentant des Bundesrates und behält während seiner Amtszeit auch den Vorsitz über sein Departement. Er hat jedoch keine Funktionen eines Staatsoberhauptes. So unterschiedlich Leuenberger und Schmid sind, verbindet sie doch einiges. Beide sind Juristen, stiegen jung von unten her in die Politik ein, beide haben manchmal Schwierigkeiten mit ihrer Partei, sind unromantisch, pragmatisch und konsensorientiert, und beide halten die Werte Konsens, Kompromiss, Konkordanz und Kollegialität hoch.

Zweifellos wird der 59-jährige Leuenberger auch im zweiten Präsidialjahr seine rhetorischen Talente nutzen und mahnend seine staatsmännischen Überzeugungen unters Volk bringen. Mit Volkstribun Christoph Blocher (SVP), der im Bundesrat (Regierung) das Amt des Polizei- und Justizministerium innehat, ist Leuenberger mehrmals zusammengeprallt – jüngst in der Frage der Politik der Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene, für die ihm 2001 die Ehrendoktorwürde für Europarecht der Universität Udine verliehen wurde.

Anders als Blocher spielte Leuenberger bisher nicht mit dem Kollegialitätsprinzip. Kollegialität ist für ihn deklariertermaßen das Fundament der Eidgenossenschaft. Wenn Kollegialität nicht gelebt werde, zerfalle das ganze politische System der Schweiz, das auf Ausgewogenheit und Kompromissfähigkeit beruhe. Diese Maxime einzuhalten fällt Leuenberger nicht leicht. Die beiden Neuen im Bundesrat machen ihm das Leben schwer: Nach Blochers Kritik an seiner Verkehrs- und Umweltpolitik gab Finanzminister Hans-Rudolf Merz (Freisinnige/FDP) zu verstehen, ihm liege wenig an einer CO2-Abgabe. Sichtlich leidet Leuenberger auch unter den Swisscom-Entscheiden.

Zwei große Leitmotive stehen über der politischen Arbeit des „Infrastrukturministers“: Nachhaltigkeit und „Service public“, verstanden als „Servic au public“. Bei jedem Vorhaben werden Schutz und Nutzen gegeneinander abgewogen und die Folgen für die Umwelt, den Wohlstand und die künftigen Generationen geprüft. Politisiert wurde der 59-jährige Theologensohn als Student der Rechte an der Universität Zürich zur Zeit der Achtundsechziger Bewegung. Schon mit 26 Jahren übernahm er das Präsidium der städtischen SP und wurde gleich ins Stadtparlament gewählt. 1979 schaffte er den Sprung direkt in den Nationalrat.

Landesweit bekannt wurde Leuenberger als Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbandes und vor allem 1989 als Präsident der Untersuchungskommission (PUK) zur Fichenaffäre. Mit diesem Bonus eroberte er 1991 zu Lasten der SVP (Gegenkandidat Ueli Maurer) einen zweiten SP-Sitz in der Zürcher Kantonsregierung. Am 27. September 1995 wurde Leuenberger als Nachfolger von Otto Stich in den Bundesrat gewählt. Er übernahm von Adolf Ogi das Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement, das – um Umweltschutz, Raumplanung und Straßenverkehr ergänzt – zum Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) umgebaut wurde.

Im ersten Präsidialjahr 2001 hat Leuenberger über 50 Reden gehalten. Weil seine Reden haltbarer sind als übliche Politikerreden hat er sie in zwei Sammelbänden herausgegeben. 2003 wurde er mit dem Cicero-Preis für die beste politische Rede im deutschsprachigen Raum ausgezeichnet. Thema: „Das Gute, das Böse und die Politik“. Leuenberger liebt aber das Bad in der Menge nicht besonders. Sein Auftreten ist zurückhaltend, ja reserviert, häufig ironisch. Kunst, Oper, Theater, Gastronomie (als Vegetarier) interessieren ihn mehr als Fernsehunterhaltung und Sport. Verheiratet ist er mit der Architektin Gret Loewensberg. Er hat zwei erwachsene Söhne.

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