Schweiz: Ein Volksaufstand stoppt die Volkspartei

Bei einer Rekordbeteiligung von 63,4 Prozent lehnten 58,9 Prozent der Stimmbürger eine verfassungsändernde Volksinitiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) ab. Das Abstimmungsergebnis ist umso bemerkenswerter, als Umfragen noch vor drei Monaten eine glatte Annahme der Vorlage hatten erwarten lassen.
Auch Zivilgesellschaft mobilisiert gegen SVP
Doch dann kam etwas, was es bisher in der Schweiz noch nicht gegeben hatte. Erstmals stellte sich nicht nur das parteipolitische und sozialpartnerschaftliche Establishment gegen die SVP, sondern auch ein Konglomerat von NGOs, Gewerkschaften, Kulturschaffenden und Einzelpersonen verschiedenster ideologischer Ausrichtung – von wirtschaftsliberal bis linkssozialistisch.
“Das Volk hat genug von der Angstmacherei der SVP”
Die Führungsfigur war die erst 25-jährige Studentin Flavia Kleiner, die mit ihrer “Operation Libero” für eine liberalere und weltoffenere Schweiz kämpft. “Das Volk hat genug von der Angstmacherei der SVP”, fasste Kleiner das klare Abstimmungsresultat zusammen. Experten stimmen dieser Einschätzung zu. Bei früheren Volksinitiativen habe die SVP ihre politischen Gegner vor sich hergetrieben. “Diesmal war es gerade umgekehrt”, sagte der Politologe Georg Lutz.
Beispielhafte Mobilisierung der Gegner
Selbst der künftige SVP-Chef Albert Rösti musste seinen Gegnern Tribut zollen. Die beispielhafte Mobilisierung der Gegner sei der Grund für das schlechte Abschneiden der Durchsetzungsinitiative gewesen, sagte er. Die SVP sei mit ihren eigenen Mitteln geschlagen worden, hält die “Neue Zürcher Zeitung” (NZZ) fest.
Der scheidende SVP-Chef Toni Brunner hat freilich eine andere Deutung für die Mobilisierungsleistung der Gegner parat. “Wenn man so massiv bekämpft wird wie wir – von allen anderen Parteien, den Medien, der Verwaltung und den Juristen -, dann ist dieses Ergebnis doch keine Überraschung”, sagte der Vorsitzende der mit Abstand größten Partei des Landes.
Mit eigenen Mitteln ausmanövriert
Tatsächlich setzten die Gegner der SVP-Initiative voll auf jenen Alarmismus, der bisher sein Heimatrecht bei den Rechtspopulisten hatte. Der Plan der SVP, einen Automatismus zur Abschiebung straffälliger Ausländer in die Verfassung zu schreiben und jegliche Einzelfallprüfung unmöglich zu machen, wurde als Zerstörung des Schweizer Rechtsstaates dargestellt. Doch auch inhaltlich boten die Gegner der SVP Paroli, indem sie etwa mit Statistiken nachwiesen, dass es bei den meisten straffälligen Ausländern um “Kriminaltouristen” handle, denen man mit Abschiebedrohungen nicht beikommen könne.
Schweiz auch künftig mit härtester Ausländergesetzgebung in Europa
Trotz aller Euphorie über das klare Nein zur Durchsetzungsinitiative darf nicht vergessen werden, dass die Schweiz auch so künftig eine der härtesten Ausländergesetzgebungen Europas haben wird. Ihr liegt die Ausschaffungsinitiative zugrunde, die von den Eidgenossen 2010 gutgeheißen wurde. Mit der Durchsetzungsinitiative wollte die SVP eine “Verwässerung” ihrer damaligen Vorlage verhindern, die immerhin zu 4.000 Abschiebungen pro Jahr führt. Wäre der Abschiebungsautomatismus angenommen worden, hätte sich die Zahl der Abschiebungen mehr als verdoppelt. (APA/red)