Schulreform: Schleswig-Holstein stellt auf Gemeinschaftsschule um
Nach dem Vorbild skandinavischer Schulen sollen die Kinder und Jugendlichen möglichst lange gemeinsam lernen. Damit verabschiedet sich das von CDU und SPD regierte Bundesland von dem klassischen dreigliedrigen Schulsystem aus Gymnasium, Haupt- und Realschule und ist nach Expertenansicht ein Trendsetter im deutschen Schulwesen. Bis 2010 sollen die alten Schularten aufgelöst werden.
Die Gemeinschaftsschule ist in Schleswig-Holstein kein Versuch, sondern Bestandteil des Regelschulwesens. Im Grundsatz umfasst sie die Sekundarstufe I, also die Klassen 5 bis 10, es kann aber auch eine gymnasiale Oberstufe oder eine Grundschule hinzukommen. Der Unterricht soll weitestgehend gemeinsam stattfinden, die Schüler bleiben bis zum Abschluss in ihrer Lerngruppe. Durch differenzierte Leistungsanforderungen werde im gemeinsamen Unterricht auf die individuellen Lernvoraussetzungen eingegangen, erklärt das Kieler Bildungsministerium.
Ein Grund für den Strukturwandel war demnach der demografische Zwang. Wir haben immer weniger Schüler, und gerade in vielen ländlichen Regionen ist es nötig, dass sich Schulen zusammentun, sagt Ministeriumssprecher Sven Runde. Ein Hauptziel des neuen Schulsystems sei auch das längere gemeinsame Lernen und die höhere Durchlässigkeit. Alle Kinder sollen die Chance auf einen möglichst hochwertigen Schulabschluss erhalten und nicht schon mit zehn Jahren auf eine bestimmte Schullaufbahn festgelegt werden, sagt Runde.
Bis 2010 werden nach Angaben des Kieler Ministeriums die alten Schularten aufgelöst, neue Schulen gegründet und Lehrer entsprechend versetzt. Alle 25 Gesamtschulen des Landes werden automatisch in Gemeinschaftsschulen umgewandelt, Real- und Hauptschulen können sich freiwillig zusammen tun. Wenn sie dies bis 2010 nicht getan haben, werden sie automatisch zu sogenannten Regionalschulen zusammengefasst. Diese beinhalten kein gymnasiales Angebot und wurden von der CDU in den Koalitionsverhandlungen durchgesetzt, um das Gymnasium zu retten. Bildungsexperten rechnen ihnen allerdings keine großen Chancen aus. Alles, was den Weg zum Abitur ermöglicht, wird von Jahr zu Jahr beliebter, sagt Bildungsforscher Ernst Rösner.
Insgesamt lobt Rösner die Kieler Schulreform. Die Vorgabe des Ministeriums ist sogar mutiger und fortschrittlicher als meine ursprüngliche und eher als Kompromiss gedachte Empfehlung, sagt der Wissenschafter des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Universität Dortmund. Sein 2004 in Kiel vorgestellter Plan sah kein Standardmodell vor – die Schulen hätten selber über ihre Struktur ab Klasse 7 entscheiden können. Eines ist für Rösner klar: Das bedeutet das Ende von eigenständigen Haupt- und Realschulen in Schleswig-Holstein. Man könne die Hauptschule auch nicht länger legitimieren: Es brennt an allen Ecken und Enden.
Das mehrgliedrige deutsche Schulsystem steht schon lange zur Diskussion. Kritiker aus dem Bildungsbereich sehen darin eine Ursache für das schlechte Abschneiden bei der Pisa-Studie. Auch UNO-Sonderberichterstatter Vernor Munoz Villalobos übte harsche Kritik am gegliederten deutschen Schulsystem. Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) beharrt jedoch auf dem Standpunkt, die Aufteilung in Gymnasien, Haupt- und Realschulen sei eine Erfolgsgeschichte.
Rösner sieht einen Massentrend in Richtung Gemeinschaftsschulen. Kiel ist Trendsetter auf diesem Gebiet, sagt er. Lehrerverbände und Parteien schwenken in breiter Front darauf ein, auch andere Bundesländer haben den Reiz der Gemeinschaftsschule bereits erkannt. In Sachsen gebe es bereits den ersten Modellversuch, auch Berlin will künftig Gemeinschaftsschulen einrichten. In Nordrhein-Westfalen zeigen vor allem ländliche Regionen Interesse, um bessere Bildungsangebote wohnungsnah anbieten zu können.
Auch die Lehrergewerkschaft GEW begrüßt die Schulreform. Im Grunde ist es richtig, dass das jahrhundertealte Schulsystem aufgebrochen wird. Auch wenn wir uns von vornherein ein System gewünscht hätten, das alle Schulen umfasst, sagt Bernd Schauer von der GEW in Kiel. Nun hoffe man, dass in Schleswig-Holstein auch viele Gymnasien in die Gemeinschaftsschulen einbezogen werden. Von den ersten sieben Einrichtungen bietet jedoch nur eine auch die gymnasiale Oberstufe.
Die GEW betont zum Start der neuen Gemeinschaftsschulen allerdings auch, dass das Land die entsprechenden Mittel, wie Finanzen und Lehrer, zur Verfügung stellen müsse. Man kann keine Reform machen, ohne auch die Bedingungen zu verbessern, sagt Schauer.