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Schlechte Stimmung in der Unterwelt

Kanalisation und Keller sind zu beliebten Veranstaltungsorten geworden - Nicht immer zur Freude der Stadtverwaltung - Stadt schiebt Kanal-Tourismus vorerst Riegel vor.

Sie riecht mitunter streng, ist dunkel, feucht, kalt – und dennoch überaus begehrt: die Wiener Unterwelt. Hunderte Kilometer Kanalisation und Kellerstollen winden sich unterhalb der Bundeshauptstadt in die Tiefe. Seit einigen Jahren wächst die Beliebtheit dieser finsteren Labyrinthe nicht nur bei Touristen und Stadtabenteurern, sondern auch bei jenen, die damit Geld verdienen. Die Begeisterung der Stadtverwaltung kann dabei nicht immer mithalten.

„Ich habe für Wien schon sehr viel Werbung gemacht“, sagt Peter Ryborz. Der 44-jährige Fan unterirdischer Gewölbe und Gang-Systeme startete 1996 mit Touren vom Karlsplatz aus. Geschätzte 100.000 Unterwelt-Fans folgten Ryborz seither in die Gedärme der Metropole. Und bis zum Herbst 2003 lief auch alles bestens. „Sogar auf CNN haben sie darüber berichtet“, blickt er stolz auf erfolgreiche Zeiten zurück.

Doch dann war plötzlich Schluss. „Niemand durfte mehr runter. Angeblich wegen Bauarbeiten, aber von Baustelle war dort nicht viel zu sehen.“ Heute, zwei Jahre später, macht sich bei Ryborz leichte Verzweiflung breit. Nach wie vor kein Zutritt zu den Hallen, wo einst Harry Lime im „Dritten Mann“ sein Ende fand, kein Einkommen, keine Aussicht auf Veränderung des Status quo. „Die Entscheidung der Stadt Wien reißt mir langsam den Boden unter den Füßen weg, die Touren waren mein Lebensinhalt.“ Der Wahlwiener wünscht sich daher sehnlichst eine Zusammenarbeit mit der Gemeinde.

“Das Kanalsystem ist ja kein Vergnügungspark”

Im Büro der zuständigen Stadträtin Ulli Sima (S) kennt man den Namen Ryborz sehr gut: „Wir hätten überhaupt nichts gegen eine Kooperation, wenn er sich an die Spielregeln hält.“ Soll heißen: Der Unterwelt-Experte habe einige Male das Betretungsverbot missachtet, was die Laune der Verantwortlichen im Rathaus nicht gerade gehoben hat. „Das Kanalsystem ist ja kein Vergnügungspark, sondern eine wichtige, funktionierende Umwelteinrichtung.“

Und diese Umwelteinrichtung wird auf Höhe Karlsplatz Richtung stadtauswärts noch bis Herbst 2006 ausgebaut. „Bis dahin wird es keine Touren geben. Auch die Stadt Wien hat ihre Veranstaltungen eingestellt“, so Sima-Sprecher Karl Wögerer zur APA. Und weil eben Ryborz nicht hören wollte und weiterhin in den Abgrund stieg, muss er jetzt fühlen: Und zwar vor Gericht. Gegen den 44-Jährigen läuft eine Unterlassungsklage.

Kontakte nach Berlin, Paris, New York

Dieser sieht das Betretungsverbot als Schikane und vermutet, dass die Stadt das (gute) Geschäft mit der Unterwelt selbst machen möchte:
„Ich habe insgesamt 500.000 Schilling (36.300 Euro) an Gebühren bezahlt. Ich bin für die Stadt ein kulturelles Aushängeschild.“ Dabei hat Ryborz große Pläne: Erst kürzlich fand in Wien der erste internationale Unterweltkongress statt, zahlreiche Events – darunter auch ein Unterwelt-Ball – will er folgen lassen. Seine Kontakte mit Gleichgesinnten erstrecken sich mittlerweile von Berlin, Paris und Rom bis nach New York und San Francisco.

Über die Kooperationssehnsüchte des privaten Untergrundtourengehers zeigt man sich im Rathaus erstaunt. Wögerer:
„Wir haben Ryborz immer fair behandelt. Wenn er mit uns zusammenarbeiten möchte, soll er sich einfach melden.“ Wie immer diese Plauderei in spe auch ausgehen mag – bis September kommenden Jahres bleibt die Kanalisation zwischen Karlsplatz und Pilgrambrücke auf jeden Fall eine abenteuerfreie Zone.

Ryborz wälzt derweil weiter mächtige Zukunftspläne und kocht veranstaltungsmäßig auf Sparflamme. Als Alternativprogramm führt er kleinere Gruppen und Schulklassen in den Lenau-Keller in der Wiener Josefstadt. Doch auch das könnte bald ein Ende haben. Denn die Eigentümer wollen die sündteure Beheizung für das frisch renovierte, aber dennoch furchtbar feuchte, unterirdische Schmuckkasterl abdrehen: Die drei historisch wertvollen Untergeschoße sind dann, so befürchtet Ryborz, dem Verfall ebenso schutzlos ausgeliefert wie sein Bankkonto.

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