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Schallkanone, Skandal, Straßburg: Serbiens Studenten auf Protesttour

Protest auf zwei Rädern: Serbische Studierende radeln für Gerechtigkeit – Jubel in Wien, Kritik an Belgrad
Protest auf zwei Rädern: Serbische Studierende radeln für Gerechtigkeit – Jubel in Wien, Kritik an Belgrad ©AFP
Mit ihrer Fahrradtour nach Straßburg wollen 80 serbische Studentinnen und Studenten auf Missstände in ihrer Heimat aufmerksam machen. In Wien wurden sie von der Diaspora gefeiert – während in Serbien die Vorwürfe über eine angeblich eingesetzte Schallkanone weiter Wellen schlagen.
"Ich bin oft in Belgrad – so bedrückend war es noch nie"

Rund 2.000 Menschen haben am Montagabend den serbischen Protest-Radlern in Wien einen begeisterten Empfang bereitet. Die 80 Studentinnen und Studenten trafen mit fast vier Stunden Verspätung um 21.15 Uhr am Maria-Theresien-Platz ein, wurden dort aber gefeiert wie Olympiasieger. Für die erfolgreich absolvierte fünfte Etappe auf dem Weg ins europäische Straßburg gab es Urkunden und Medaillen.

"Zehntausende Menschen wollen nach Serbien zurückkehren, unter einer Bedingung: Dass sich etwas ändert", sagte der 19-jährige Petar im APA-Gespräch. Er forderte Europa dazu auf, Präsident Aleksandar Vučić fallen zu lassen und die Stimme zu erheben. Die von Vučić angekündigten Neuwahlen sieht er kritisch – frei und fair wären sie nur, wenn Studierende selbst die Organisation übernehmen würden.

Etappe mit Symbolkraft

Die Radlerinnen und Radler legten am Montag mehr als 140 Kilometer zurück – die bisher längste Tagesetappe seit dem Start am Donnerstag in Novi Sad. Auch die Strecke am Sonntag zwischen Budapest und Györ sei laut Petar anstrengend gewesen, besonders wegen des Windes.

Trotz der verspäteten Ankunft herrschte am Maria-Theresien-Platz ausgelassene Stimmung. Serbische Musik tönte aus den Lautsprechern, auf dem roten Teppich wurde getanzt. Als die Gruppe eintraf, ertönten "Pumpaj"-Rufe – der Schlachtruf der Bewegung – begleitet von einem Meer aus Handyscheinwerfern. Manche Radler trugen serbische Fahnen, eine Ikone oder ein Pikachu-Kuscheltier.

"Radrennen um die Gerechtigkeit"

Die Tour verläuft laut einer Sprecherin "nach Plan", auch wenn es etwa in Ungarn keine Polizeieskorte gab. In jeder Stadt werden die Aktivistinnen und Aktivisten von der serbischen Community empfangen – zuletzt in Budapest, Bratislava und nun Wien. In Österreich stehen vier Übernachtungen auf dem Plan: Wien, Emmersdorf, Linz und Salzburg.

Das "Radrennen um die Gerechtigkeit" umfasst 13 Etappen mit je rund 100 Kilometern. Ziel ist Straßburg – dort wollen die Studentinnen und Studenten den europäischen Institutionen ihre Anliegen persönlich überbringen.

Die Bewegung selbst beschreibt die Lage in Serbien drastisch: "Unsere  Straßen,   früher Orte der Hoffnung und Begegnungen, sind Schauplätze der Angst und Ungerechtigkeit geworden. Unsere Freunde und Kollegen werden festgenommen, weil sie die Wahrheit gesagt haben, Institutionen sind zum Werkzeug der Repression geworden", teilten Studenten auf ihrem Internetportal mit, wo ihre Radtour live zu verfolgen ist.

Vorwürfe gegen serbische Polizei

Parallel zur Tour fordern Aktivistinnen und Aktivisten in Serbien internationale Untersuchungen. Konkret geht es um den Vorwurf, dass bei einer Großkundgebung am 15. März eine sogenannte Schallkanone eingesetzt wurde. Eine Petition mit rund 600.000 Unterschriften wurde dem UN-Büro in Belgrad übergeben.

Viele Demonstrierende berichteten nach der Kundgebung von lauten, nicht identifizierbaren Geräuschen, die Panik auslösten. Bürgerrechtsorganisationen sammelten über 3.000 Aussagen von Menschen mit gesundheitlichen Beschwerden.

Ein Polizeiwagen mit auffälligem Aufbau war auf Fotos zu sehen. Experten halten das Gerät für eine akustische Waffe aus US-Produktion. Die Regierung weist die Vorwürfe zurück. Innenminister Ivica Dacic gab zwar zu, dass die Polizei über ein solches Gerät verfüge, bestreitet jedoch dessen Einsatz am 15. März. Präsident Vučić sprach sogar von einer "Lüge".

Auslöser: Tragödie in Novi Sad

Der Auslöser der Proteste war ein tragisches Unglück in Novi Sad am 1. November, bei dem 16 Menschen starben. Das Vordach des Bahnhofs stürzte ein – mutmaßlich durch Korruption im Bauwesen. Zwei Minister traten zurück, und gegen 13 Personen wurde Anklage erhoben, doch die Justiz hat sie bisher nicht bestätigt.

Die politische Krise spitzt sich seither zu. Der Rücktritt von Ministerpräsident Milos Vucevic Ende Jänner und die massive Mobilisierung junger Menschen deuten auf einen tiefgreifenden Wandel – oder zumindest auf dessen Wunsch – hin.

(VOL.AT/APA)

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