Die hohen Offiziere stünden unter dem Verdacht des versuchten Umsturzes, berichtete der Nachrichtensender CNN-Türk. Unter ihnen sind die ehemaligen Kommandanten von Luftwaffe und Marine, General Ibrahim Firtina und Admiral Özden Örnek. Den Beschuldigten wird Mitwirkung an dem Plan vorgeworfen, der unter dem Codenamen “Vorschlaghammer” vorsah, mit Anschlägen und politischen Morden Chaos zu erzeugen, um die Armee zum Eingreifen zu veranlassen.
Bei einem großflächigen und für die Türkei einmaligen Polizeieinsatz wurden am Montag auf Anordnung der Istanbuler Staatsanwaltschaft insgesamt 17 ehemalige Generäle und weitere hohe Offiziere festgenommen. Sollte gegen sie Anklage erhoben werden, drohen den Militärs lebenslange Haftstrafen. Die regierungsnahe Zeitung “Zaman” berichtete am Dienstag, die Istanbuler Staatsanwälte hätten das von der Zeitung “Taraf” veröffentlichte Beweismaterial von Wissenschaftlern und Polizeiexperten überprüfen lassen. Erst nachdem die Echtheit der Putschpläne festgestanden wäre, seien die Festnahmen angeordnet worden.
Die Zeitung “Taraf”, der gezielt Interna aus dem inneren Zirkel des Militärs zugespielt werden, hatte am 20. Jänner zuerst über “Vorschlaghammer” berichtet. Der Plan stamme aus dem Jahr 2003. Provokateure sollten als islamische Fundamentalisten getarnt das Militärmuseum in Istanbul angreifen und Bombenanschläge auf zwei Moscheen der Bosporus-Metropole verüben. In einem zweiten Schritt sollte ein türkisches Militärflugzeug abgeschossen und Griechenland die Sache in die Schuhe geschoben werden. Tausende “Feinde des Staates” sollten dann interniert werden. Frühere Putschszenarien hatte die Militärführung als Fälschung bezeichnet. Doch “Vorschlaghammer” wurde auf einem Seminar diskutiert. Es gibt Tonaufnahmen des Generals Cetin Dogan, der als Autor des Plans identifiziert wurde. Er bezeichnete das Papier als Szenario für ein Kriegsspiel.
Die türkische Armee, die sich als Hüterin der kemalistisch-säkularen Grundprinzipien der Republik sieht, hatte 1960, 1971, 1980 und 1997 in die Politik eingegriffen. 1960 unter General Cemal Gürsel und 1980 unter General Kenan Evren übernahm die Armee direkt die Macht. Die AKP-Regierung hatte zuletzt die Machtbefugnisse des Militärs für Einsätze im Inneren weitgehend eingeschränkt. Innenminister Besir Atalay hob das vor knapp 13 Jahren mit dem Generalstab unterzeichnete sogenannte Emasya-Protokoll auf. Das Protokoll über die Zusammenarbeit für Sicherheit und öffentliche Ordnung hatte es der Armee erlaubt, bei Krisen auch ohne Aufforderung seitens der Regierungsbehörden einzugreifen. Das Papier war 1997 unterzeichnet worden, nachdem das Militär den ersten islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan mit einem “sanften Putsch” aus dem Amt gedrängt hatte. Nach dem Verbot von Erbakans Wohlfahrtspartei sammelten sich die islamistischen Kräfte in der Tugend-Partei. Aus dieser ging dann die Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei hervor, die Erdogan in eine islamisch-konservative Massenpartei umzuwandeln vermochte.
Generalstabschef Ilker Basbug sagte wegen der Festnahmewelle am Montag eine Reise nach Ägypten in letzter Minute ab. Die landesweite Razzia macht deutlich, dass die mächtigen Militärs nicht länger als unantastbar gelten. Mehrere einflussreiche Ex-Generäle waren bereits angeklagt, weil sie als Mitglieder des nationalistischen Geheimbundes “Ergenekon” den Sturz der Regierung betrieben haben sollen. Auf der “Todesliste” dieser Organisation sollen unter anderen Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk und der in Istanbul residierende Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. stehen, für deren Ermordung man islamistische Kräfte verantwortlich machen wollte. Regierungsgegner werfen Erdogan vor, die Ergenekon-Ermittlungen zur Schwächung der Armee und politischer Gegner zu nutzen.