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SARS verwandelt Peking in Geisterstadt

Menschenmassen gehören in Peking normalerweise zum Stadtbild. Doch die SARS-Epidemie hat die 13-Millionen-Metropole in eine Geisterstadt verwandelt.

Auch der strahlende Frühlingshimmel konnte die Menschen am Sonntag nicht aus ihren Häusern locken – die Angst vor der schweren Lungenkrankheit nimmt jede Lust auf einen Ausflug in die Pekinger Parks.

Mao Tse-tung blickt von dem überlebensgroßen Porträt am Eingang der verbotenen Stadt nur noch auf vereinzelte Grüppchen furchtloser Besucher auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Auf der Einkaufsmeile Wangfujing steht ein Touristenbus für Stadtrundfahrten leer am Straßenrand. Ein unerschrockener Stadtführer brüllt dennoch unermüdlich durchs Megaphon. „Wir würden die Tour sogar für einen oder zwei Passagiere machen“, sagt der Stadtführer. „Aber bis jetzt hatten wir keinen einzigen.“

Mindestens 56 Menschen starben bisher in der chinesischen Hauptstadt an dem Schweren Akuten Respiratorischen Syndrom (SARS). Im ganzen Land sind es 131 Tote, fast 3.000 Chinesen sind infiziert. Unter der Leitung der neuen Gesundheitsministerin Wu Yi – ihr erfolgloser Vorgänger war am Samstag zurückgetreten – erließen die Behörden am Sonntag drastische Maßnahmen: Kinos, Internetcafes, Theater und Karaoke-Bars bleiben bis auf weiteres geschlossen, selbst Hochzeiten dürfen nur noch mit Sondergenehmigung stattfinden.

Das öffentliche Leben in Peking ist gelähmt, die wirtschaftlichen Folgen sind noch gar nicht absehbar. Für viele gibt es nur noch wenig Arbeit. Der Taxifahrer Tan Ping verdient überhaupt nichts mehr. Im April rechne er mit einem Verlust von 2.000 Yuan (220 Euro). „Wenn das noch einen Monat so weiter geht, muss ich mein Taxi verkaufen und einen anderen Weg finden, um Geld zu verdienen“, beschreibt er seine Lage.

Auch im Einkaufszentrum Oriental Plaza, einem der größten der Stadt, lassen sich die Besucher an einer Hand abzählen. Gelangweilt gucken die Verkäuferinnen hinter ihren Schutzmasken hervor. Da es sonst fast nichts zu tun gibt, sei Hygiene zur wichtigsten Aufgabe des Personals geworden, sagt die Geschäftsführerin in einem Tee-Laden. „Wir desinfizieren das Geschäft etwa jede Stunde“, sagt sie. Und wenn dann doch einmal ein Kunde kommt, wird alles, was er berührt hat, keimfrei gemacht.

Der einzige Ort, an dem in Peking noch Menschenmassen anzutreffen sind, ist der Hauptbahnhof. Trotz der Warnungen der Regierung, nicht zu verreisen, um die Krankheit nicht noch weiter im Land zu verbreiten, versuchen Hunderte, aus der Hauptstadt zu flüchten.

Früh am Morgen ist die Kellnerin Yang mit zwei Freunden zum Bahnhof gekommen, um in ihre Heimatprovinz Henan zu fahren. „Wir gehen nicht mehr zur Arbeit“, erzählt die 19-Jährige. „Unser Chef hatte nichts dagegen, da er das Restaurant schon letzte Woche dichtgemacht hat, weil keine Gäste mehr kamen.“ Doch Yangs Plan, sich vor der lebensgefährlichen Krankheit aufs Land zu flüchten, geht nicht auf: Alle Fahrkarten nach Henan sind bereits ausverkauft.

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