Natürlich hat Guth seine Regie überarbeitet und verfeinert. Don Ottavio hat eine Arie mehr, viele Auf- und Abtritte wirken runder, Leporello traut sich mehr, bringt Witz ins Spiel, und manches wirkt auch entschärft und geglättet. Der vieldiskutierte Fichtenwald scheint besser ausgeleuchtet. Am Dirigentenpult der Wiener Philharmoniker steht nicht Bertrand de Billy, sondern Yannick Nezet-Seguin, was den Klang nicht im Geringsten verändert. Mozart eben, wie man ihn von den Philharmonikern gewohnt ist. Die Rollen der Zerlina, der Donna Anna, des Komturs, des Masetto und des Don Ottavio sind neu besetzt, was die Sache keinesfalls besser macht. Trotzdem: Es ist Claus Guths alter Fichtenwald-“Don Giovanni”. Den mag man, oder man mag ihn nicht. Jedenfalls ist diese Mozart-Inszenierung echtes Regie-Theater, in der viel riskiert und einiges gewonnen wurde.
Tiefer noch als das Gärtlein, das Don Giovanni so zwanghaft oft bestellt, ist dieser Wald ein Ort der Angst und des Animalischen. Besessen von der Gier nach Weiberfleisch verführt die Bestie, egal ob alt ob jung, ob schön ob hässlich. Claus Guths Titelheld ist von der ersten Szene an durch eine Kugel des Komtur verletzt. Der weidwunde Wolf (einmal heult er tatsächlich), torkelt und blutet durch den Dornröschenwald und plumpst am Ende in die Grube. Der angstfreie aber liebesunfähige Frauenheld (und mit ihm die Idee des zwanghaften Verführers) ist ohnehin längst schon krank.
Ästhetisch funktioniert das von Guth und seinem Bühnenbildner Christian Schmidt kreierte Fichtenwald-Konzept in dunklen, nächtlichen Farben schon. Vielleicht hat man sich auch bloß daran gewöhnt, dass der Champagner aus Bierdosen fließt und die Herrn Giovanni und Leporello wie Vorstadt-Rowdys mit Sonnenbrille im nächtlichen Dickicht sitzen und Joints rauchen. Damen staksen auf High-Heels zwischen den Bäumen umher und tanzen Disco im Glitzerkleid. Ein Auto rollt wie auf Wolfspfoten ins Fichten-Grün und wird als einzige zivilisierte Requisite zum spannenden Spielplatz für Donna Annas Unentschlossenheit und Ottavios Eifersucht. Guth hat seinen Mozart in eine optisch merkwürdig unpassende Umgebung verpflanzt. Vielleicht sind aber gerade dadurch die Menschen in diesem europäischen Männer-Mythos sichtbar geworden.
Erwin Schrott singt und vor allem spielt in der Form seines Lebens. Als kiffender Proleten-Leporello turnt sich der Uruguayianer derart unterhaltsam durch den Forst, dass ihm den größten Applaus niemand wegnehmen kann. Auch Christopher Maltman in der Titelrolle singt hervorragend und wirkt furchtlos und weidwund. Vor allem bringt Maltman stimmlich und darstellerisch Erotik über die Rampe dieses Regie-Theaters.
Ein wenig überfordert klingt die “Young Singers Project“-Entdeckung Joel Prieto, der für den kranken Joseph Kaiser einspringen musste. Prietos Tenor ist wunderbar schlank im Klang, aber die Nerven dürften sich doch noch recht flattrig ins Geschehen gemischt haben. Dorothea Röschmann als Donna Elvira hat ihren ersten Auftritt in Vibrato erstickt, im Laufe des Abends fasste sie sich aber. Aleksandra Kurzak (Donna Anna) und Anna Prohaska (Zerlina) spielen gut und artikulieren musikalisch einfühlsam. Stimmlich aber wirken sie gegenüber den männlichen Hauptakteuren doch ziemlich klein. Dies gilt auch für “Masetto” Adam Plachetka. “Komtur” Dimitry Ivashchenko zu guter Letzt bringt jene jenseitige Bassisten-Kraft ins Spiel, vor der auch der Frauenheld aller Frauenhelden die Segel streichen muss.
“Don Giovanni“, Dramma giocoso in zwei Akten von Wolfgang Amadeus Mozart. Text: Lorenzo Da Ponte. Wiederaufnahme einer Produktion der Salzburger Festspiele aus dem Jahr 2008 im Haus für Mozart. Regie: Claus Guth, Bühne und Kostüme: Christian Schmidt. Musikalische Leitung: Yannick Nezet-Seguin. Es musizierten die Wiener Philharmoniker und die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor. Die Solisten: Christopher Maltman als Don Giovanni, Dimitry Ivashchenko als Komtur, Aleksandra Kurzak als Donna Anna, Joel Prieto als Don Ottavio, Dorothea Röschmann als Donna Elvira, Erwin Schrott als Leporello, Anna Prohaska als Zerlina und Adam Plachetka als Masetto. Weitere Vorstellungen am 12., 15., 19., 25. und 29. August http://www.salzburgerfestspiele.at