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Salzburger Festspiele: Drama und Spaß auf den Opernbühnen

Großes Drama über Liebe und Tod, ein paar weniger populäre Stücke sowie ein Experiment mit völlig offenem Ausgang. Das scheint Intendant Jürgen Flimms Grundkonzept für die Oper der Salzburger Festspiele 2008 zu sein.

Zum zweiten Mal zeichnet der Rheinländer für dieses Festival der Superlative verantwortlich, bei dem 3.500 Menschen beschäftigt sind und die Eintrittskarten bis zu 370 Euro kosten. Das Festival dauert von 26. Juli bis 31. August und wird von 600 akkreditierten Journalisten beobachtet.

226.407 Karten sind aufgelegt für 202 Veranstaltungen an 14 Spielstätten (Großes Festspielhaus, Haus für Mozart, Felsenreitschule, Domplatz, Kollegienkirche, Mozarteum, Landestheater, Republic, Pernerinsel, Marionettentheater, Universitätsaula, Schloss Leopoldskron, Das Kino und Schüttkasten). Dazu kommt eine Vielzahl von Vorträgen, Einführungen, Diskussionen, Künstlergesprächen und ergänzenden Betrachtungen von Philosophen und Wissenschaftlern. Manche Produktionen sind um ein Vielfaches überbucht, allen voran der “Jedermann”.

Der künstlerische Startschuss fällt heuer am 26. Juli mit Andrea Breths “Verbrechen und Strafe” nach Dostojewski, aber gleich am Tag danach geht es los in der Oper und zwar mit “Don Giovanni”, jenem zentralen Stück über den sportlich-destruktiven und letztlich tödlichen Aspekt der Liebe. Claus Guth wird nach seiner erfolgreichen “Figaro”-Regie aus dem Jahr 2006 die zweite Da Ponte-Oper im Haus für Mozart inszenieren. Die dritte, “Cosi fan tutte”, soll ja 2009 realisiert werden. Im “Don Giovanni” wird Bertrand de Billy die Wiener Philharmoniker bei seinem Salzburg-Debüt dirigieren, Christopher Maltman singt die Titelpartie, Erwin Schrott, der zuletzt vor allem als Vater des gemeinsamen Kindes mit Anna Netrebko Schlagzeilen machte, singt den Leporello, Donna Anna und Donna Elvira sind mit Annette Dasch und Dorothea Röschmann kaum weniger prominent besetzt.

Riccardo Muti, heuer der am meisten beschäftigte Dirigent in Salzburg, wird Verdis “Otello” leiten, ihm steht Regisseur Stephen Langridge zu Seite, die Premiere ist am 1. August im Großen Festspielhaus. Ebendort spielt die alte und 2006 allgemein durchgefallene “Zauberflöte” unter Muti und Pierre Audi (13.8.) sowie “Herzog Blaubarts Burg” von Bela Bartok, jenes mystisch-düstere aber nur eine Stunde lange Märchen, das mit “Cantata profana – Die neun Zauberhirsche” von Regisseur Johan Simons zu einem abendfüllenden Opern-Ereignis in ungarischer Sprache verflochten werden soll (6.8.).

Die wohl größten Erwartungen gelten “Romeo et Juliette” von Charles Gounod (Premiere: 2. August), obwohl nun doch nicht das Traumpaar Anna Netrebko und Rolando Villazon das Traumpaar der Literatur- und Operngeschichte singen wird. “Romeo et Juliette” ist die am stärksten überbuchte Oper, vielleicht, weil mit Bartlett Sher ein Tony Award-ausgezeichneter Musical-Regisseur inszenieren wird, vielleicht auch, weil Flimm versprochen hatte, dass der blutjunge und attraktive Netrebko-Ersatz Nino Machaidze “abgehen wird wie eine Rakete.”

Schaurig und todtraurig geht es weiter, und zwar mit “Rusalka” von Antonin Dvorak im Haus für Mozart (17.8.). Franz Welser-Möst wird sein Cleveland Orchestra dirigieren, und als Regie-Team für dieses Märchen über die Sprachverlust, das Scheitern der Liebe und traumatisierte Frauen im Elementargeister-Milieu haben die Festspiele Jossi Wieler und Sergio Morabito engagiert.

Am Ende des Salzburger Opern-Reigens steht “Irmingard – oder die Macht des Schicksals”, das im Programm als schräges Musiktheaterprojekt von Mnozil Brass und Bernd Jeschek beschrieben ist. Nach dem Erfolg ihrer Operette “Das trojanische Boot” bei der Ruhr-Triennale will Flimm nun auch das Salzburger Publikum von der Opernbühnen-Tauglichkeit dieser hoch-virtuosen österreichischen Spaßettl-Bläser überzeugen. Das Stück wird ab 24. August dreimal im Republic gezeigt.


“Wir wollen die Sparten Oper, Schauspiel und Konzert nicht mehr isoliert betrachten, sondern uns gemeinsam einlassen auf ein Motto, auf ein programmatisches Konzept. Daher ist auch das Konzertprogramm heuer eine Art innere Landkarte, auf der man die gemeinsamen Gedanken zum Motto ‘denn stark wie die Liebe ist der Tod’ nacherleben kann”. Das sagt der Konzertchef der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, im APA-Gespräch. Hinterhäuser hat heuer Franz Schubert und Salvatore Sciarrino zentral positioniert. “Beide sind wie geschaffen für das heurige General-Thema. Schubert hat unendlich viel mit Liebe und Tod zu tun, und die Sciarrino-Oper ‘Luci mie traditrici” erfüllt das Motto geradezu sinnbildlich.” Rund um diese beiden Komponisten hat Hinterhäuser Nono, Messiaen, aber auch Eisler, Janacek oder Kurtags “Kafka-Fragmente” platziert, weil es auch da immer um “Heimatlosigkeit, Verlust von Bindung und Halt und ums Verschollensein geht”, so der Konzertchef. Auch in den traditionellen fünf Konzerten der Wiener Philharmoniker hat Hinterhäuser versucht, konzertante Austauschbarkeit zu vermeiden. Dirigenten wie Pierre Boulez, Jonathan Nott, Riccardo Muti, Mariss Jansons und Esa-Pekka Salonen werden neben Mahlers “Kindertotenlieder”, dem “Requiem” von Brahms oder Schuberts “Unvollendete” auch Werke von Charles Ives, Igor Strawinsky, Anton Webern oder Hector Berlioz dirigieren. Drei Konzerte mit dem Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst sind vereinbart, “übrigens sehr lange bevor er zum Staatsopernchef ernannt wurde”, wie Hinterhäuser sagte. In den Bereichen Gastorchester, Dirigenten, im Lied, in der Kammermusik und bei den Solisten-Konzerten steht das who is who der internationalen Interpretenszene fast geschlossen auf den Festspielbühnen: Matthias Goerne, Alfred Brendel in seinem wohl letzten Festspielkonzert, Michael Schade, Thomas Quasthoff, Christine Schäfer, Ian Bostridge und Mitsuko Uchida, Andras Schiff, Daniel Barenboim, Lang Lang oder Maurizio Pollini, die Camerata Salzburg mit Marc Minkowski, die Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle oder das Mozarteum Orchester unter Ivor Bolton. “Und doch, wir bieten nicht die Verlängerung der Konzertsaison der großen europäischen Häuser in den Sommer hinein. Vieles ist für Salzburg gedacht, viele Kombinationen von Musikern gibt es nur hier, und viele unserer Programme wird man im gängigen Konzertbetrieb vergebens suchen”, betonte Hinterhäuser. Besonders deutlich wird dieser Anspruch Salzburgs beim Simon Bolivar Youth Orchestra aus Venezuela. Nicht, weil eine von Nikolaus Harnoncourt geleitete Schule des Hörens und ein Symposion an diese Reihe angeschlossen sind, sondern, “weil sich da sozialpolitische Haltung mit elektrisierend unmittelbarer Musik treffen”, so Hinterhäuser mit fast leuchtenden Augen. “Während allein in Salzburg 1.000 Kinder vergebens auf eine Musikausbildung warten, sind in diesem südamerikanischen Projekt 250.000 Kinder von der Straße geholt und musikalisch, das heißt im Zuhören, im Abstimmen und Rücksicht nehmen auf andere, im kreativ Denken und zugleich intensiv Fühlen unterrichtet worden. Das zu zeigen ist eine vornehme Aufgabe der Salzburger Festspiele.”


“Wenn ich eine aktuelle Temperatur-Karte für das Schauspiel bei den Salzburger Festspielen aufstellen müsste, dann wären ‘Verbrechen und Strafe’ nach Dostojewski sowie die Trilogie ‘Sad Face/Happy Face’ jene Stücke, in denen es im Moment am meisten kocht und brodelt.” Das sagt Schauspielchef Thomas Oberender rund eine Woche vor der ersten zentralen Schauspiel-Premiere der Festspiele 2008. Das Festival wird heuer, am 26. Juli im Salzburger Landestheater, mit “Verbrechen und Strafe” von Andrea Breth eröffnet, die aus Dostojewskis Roman “Schuld und Sühne” eine eigene Bühnenfassung kreiert hat.

Eigentlich hätte ja “Engelszungen”-Erfolgsautor Dimitre Dinev die neue Bühnenversion für die Eigenproduktion der Festspiele beisteuern sollen, “aber die Dostojewski-Visionen von Dinev und Breth waren nicht zu vereinbaren, und hinzu kam der Zwang der Produktionsabläufe, die keinen Aufschub gewährten”, so Oberender. “Dinev hat eine großartige Bühnenfassung geschrieben, die irgendwann sicher in einem anderen Theater gespielt werden wird. Aber das Festspielpublikum wird heuer die Breth-Version zu sehen bekommen, in der die Regisseurin nur die Originaltexte von Dostojewski verwendet und die Dramaturgie des Romans weitgehend unverändert für die Bühne adaptiert hat”, so der Schauspielchef.

Natürlich steht auch heuer, wie seit 88 Jahren, Hofmannsthals “Jedermann” prominent auf dem Spielplan. Zwölf Vorstellungen dieses theatralischen Dauerbrenners sind angesagt auf dem Domplatz. In diesem Mysterienspiel über das Leben und Sterben des reichen Mannes wird heuer mit Sophie von Kessel die vierte Schauspielerin um die Gunst von Jedermann Peter Simonischek buhlen.

Künstlerisch im Zentrum steht diesmal eine Uraufführung auf der Pernerinsel in Hallein und zwar “Das Hirschhaus” von Jan Lauwers und seiner Needcompany aus Belgien. Dieses Stück entstand auf Anregung und im Auftrag von Thomas Oberender, für den die Needcompany “populäres Theater im schönsten Sinn des Wortes” geschaffen hat. Tatsächlich ist “Das Hirschhaus” – genau wie die weltweit erfolgreichen und in Salzburg zu einer Trilogie zusammengefassten Vorgänger-Stücke “Isabellas Zimmer” und “Der Lobstershop” durchdrungen von eingängigen Pop-Songs, drei verschiedenen Sprachen, Tanz, Poesie, Hoffnung und der essenziellen Frage, “was von einem Menschenleben übrig bleibt, wenn wir dem Tod begegnen”, wie es Oberender formuliert. Sowohl Musik als auch Texte werden parallel zu den Premieren der Needcompany auf CD und in Buchform (Fischer Verlag) erschienen.

Es folgen am 15. August “Die Räuber” von Friedrich Schiller in der Regie von Nicolas Stemann, weil “das ein zeitlos gültiger Text über Protest, Radikalisierung und Extremismus” ist. Dann kommen “Harper Regan”, eine Deutschsprachige Erstaufführung des britischen Erfolgsautors Simon Stephens sowie “The Year of Magical Thinking” von Joan Didion, in dem Vanessa Redgrave allein auf der Bühne im Landestheater spielen wird.

Im Young Directors Project (YDP) macht am 31. Juli “Der Stein” (ursprünglicher Arbeitstitel: “Eine deutsche Familiengeschichte) den Auftakt, bevor mit Brechts “Die Maßnahme” regelrecht Oper angesagt ist im Schauspiel der Festspiele. “Ja, da haben wir ein zehnköpfiges Orchester und 50 Chorsänger, die im Publikum verteilt sind. Dieses Stück sprengt alle Rahmen, aber es wird das Hirn und zugleich das Herz in Bewegung setzen.” Es folgen “Fünf Tage im März” von Chelfitsch aus Tokio sowie “Romeo und Julia” in einer erstmals in Europa gezeigten Version des New Yorker Nature Theater of Oklahoma.

Die “Dichter zu Gast” heißen heuer Dimitre Dinev und Orhan Pamuk. Während der Bulgare mit Leuten wie Walter Schmidinger, den Wladigeroff Brothers & Band sowie Schauspielchef Oberender lesen, Musik machen und reden wird, sind vom Nobelpreisträger aus der Türkei erstmals Auszüge aus seinem im Herbst erscheinenden Roman “Museum der Unschuld” zu erwarten. Außerdem stehen öffentliche Gespräche mit dem Kunsthistoriker Hans Belting und David Hare auf dem “Dichter”-Programm.

“Das Motto der Festspiele 2008 – ‘denn stark wie die Liebe ist der Tod’ – könnte als General-Motto über den Salzburger Festspielen seit Anbeginn stehen. Ich bin sicher, dass auch Max Reinhardt dem aktuellen Programm einiges abgewinnen könnte”, meint Oberender. “Das Verhältnis des Menschen zur Religion und zu seiner Sterblichkeit, aber auch die Unsterblichkeit seiner Sehnsüchte, sind wirklich große, schon im ‘Jedermann’ verhandelte Themen. Dabei ist von sekundärer Bedeutung, welche Stilform diese Auseinandersetzung annimmt. Bei mir steht Andrea Breths Arbeit neben der Needcompany. Beide versuchen ins Innere des Dramas vorzustoßen. Egal ob literarisch und schauspielergebunden, ob mit der genreübergreifenden Sprache des Gesamtkunstwerkes oder mit einer formal neuen Sprache in alten Texten. Hauptsache, das Theater bietet Erfahrungen an und ist mehr als bloß ein theoretischer Diskurs.”

(S E R V I C E – Details zu allen Sparten-Programmen der Salzburger Festspiele 2008 unter http://www.salzburgerfestspiele.at; Kartenbüro: 0662 / 8045 / 555)

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