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Russland: Man kann jeden Tag verhaftet werden

Nein, viel Spaß mache es nicht, in Russland Oppositionspolitiker zu sein, sagt der Vorsitzende der Partei Jabloko, Sergej Mitrochin. Aber es sei interessant: "Ein Spaß ist es nicht, weil man jeden Tag verhaftet werden kann, interessant ist es, weil Politik in Russland mit vielen Problemen verbunden ist, und man kann jeden Tag diese Probleme lösen, es ist sehr interessant vom intellektuellen Standpunkt her", erklärt Mitrochin, der dieser Tage am Europäischen Forum Alpbach teilnimmt, im Gespräch mit der APA.

Verhaftet könne man deswegen werden, weil es viele Hindernisse für politische Aktionen wie Demonstrationen oder Blockaden gebe. “Man kann nicht Politik machen ohne öffentliche Aktionen, Straßenaktionen, aber in Russland gibt es extrem strenge gesetzliche Regelungen dafür.” Wenn man dagegen verstoße, werde man bestraft.

Eine weitere Hürde für Oppositionspolitiker sei der schwierige Zugang zu den Massenmedien, vor allem staatlichen landesweiten TV-Stationen. “Die wichtigsten Massenmedien sind für die Opposition geschlossen, die übertragen nur die offizielle Meinung und zeigen nur Politiker wie Präsident (Dmitri) Medwedew und Ministerpräsident (Wladimir) Putin.”

Oppositionellen blieben nur einzelne Zeitungen, Internetseiten und kleinere Radiosender mit weniger Publikum, sagt der Jabloko-Vorsitzende. “Man kann den Einfluss von Politikern, die auf Staatskanälen sprechen, und jenen von Politikern, die in kleinen Sendern reden, nicht vergleichen.” Das sei besonders vor Wahlen offensichtlich und ein großes Problem für Oppositionsparteien.

Einen wirklichen Wandel sieht Mitrochin seit der Übernahme des Präsidentenamtes durch Medwedew bisher nicht. “Als Medwedew an die Macht gekommen ist, hat er viele Versprechen gemacht, aber wir warten noch immer darauf, dass sie erfüllt werden. Doch unsere Hoffnung wird von Tag zu Tag geringer.”

Der Präsident habe zwar kleinere Reformen etwa hinsichtlich des Wahlgesetzes auf regionaler Ebene und der Bestimmungen zu den politischen Parteien eingeleitet. “Aber das ist alles, und jetzt, wenn man vergleicht, was Medwedew im Namen der Demokratie und was er gegen die Demokratie gemacht hat, kann man sagen, dass das zweite mehr ist als das erste.” Mitrochin verweist etwa auf die Verlängerung der Amtszeit des Präsidenten von vier auf sechs Jahre, die eine starke langfristige Auswirkung auf die Demokratie habe.

Dass Medwedew von der Ausbildung her Jurist sei, spiele keine Rolle. “Er hat keine Möglichkeit, irgendetwas in Russland zu verändern. Medwedew hat keine wirkliche Macht.” Politisch wirklich mächtig sei der frühere Präsident und jetzige Premier Putin. “Medwedew kann nur in einem sehr engen Rahmen von Möglichkeiten agieren.”

Die Bürger wüssten natürlich, dass es keine freien Wahlen in Russland gebe, unterstreicht Mitrochin. Doch: “Die Russen haben hunderte Jahre lang und das ganze 20. Jahrhundert hindurch ohne Wahlen gelebt.” Deshalb hielten viele demokratische Wahlen auch nicht “für ein notwendiges Element ihres Lebens”. Ihr Protest bestehe hauptsächlich darin, dass viele Leute gar nicht wählen gingen.

Die Partei Jabloko, die rund 60.000 Mitglieder hat und sich als sozial-liberal versteht, ist derzeit nicht im Parlament vertreten, was sich, wenn es nach ihrem Vorsitzenden geht, aber wieder ändern soll. “Es ist sehr wichtig, im Parlament zu sein, doch wir wissen, dass es auf Grund unserer Wahlgesetze fast unmöglich ist. Aber wir werden es versuchen.” Andererseits mache es nicht so viel Unterschied, ob eine Partei nun in der Volksvertretung sitze oder nicht: “Das Parlament wird komplett von (der Putin-Partei) Geeintes Russland dominiert, andere Parlamentsparteien haben keine Macht und keinen Einfluss.”

Kritik hätten die russischen Behörden generell nicht so gerne – weder aus dem In- noch aus dem Ausland, sagt Mitrochin. In den Beziehungen europäischer und US-amerikanischer Politiker zu russischen Politikern spiele jedoch ohnehin das Prinzip der Realpolitik eine Rolle, und der Pragmatismus stehe viel höher als irgendwelche Werte.

Auf die Frage, ob er sich mehr internationalen Druck auf Russland in Menschenrechtsfragen wünschen würde, sagt Mitrochin: “Ich glaube nicht, dass die Hauptsache in den Beziehungen zwischen westlichen Ländern und Russland Statements über Menschenrechtsverletzungen in Russland sein sollten. Aber sie (die westlichen Länder) sollten nicht darauf vergessen, und sie sollten die russischen Behörden wissen lassen, dass sie über diese Verletzungen Bescheid wissen.”

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