Das Entsetzen über den Mord an der regierungskritischen russischen Journalistin Anna Politkowskaja hält auch zwei Tage nach dem Verbrechen noch an. Die EU, Außenministerin Ursula Plassnik sowie zahlreiche Organisationen äußerten am Montag ihre Bestürzung und forderten eine rasche Aufklärung des Falls. Der russische Unternehmer und Politiker Alexander Lebedjew, Miteigentümer der kleinen regierungskritischen Zeitung Nowaja Gazeta, setzte unterdessen eine Belohnung von 25 Millionen Rubel (rund 740.000 Euro) zur Aufklärung des Anschlags aus.
Im Auftrag der Zeitung hatte Politkowskaja zuletzt an einer Geschichte über Folter in Tschetschenien gearbeitet hatte. Die Zeitung gedachte am Montag auf sechs Seiten ihrer toten Kollegin. So lange es Nowaja Gazeta gibt, werden ihre Killer nicht ruhig schlafen, versprach die Zeitung in ihrer Montagsausgabe.
Der andere Miteigentümer des Blattes, der frühere sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow, sprach von einem schweren Schlag für die Pressefreiheit in Russland. Dies ist ein echter politischer Mord. Ein Racheakt, sagte Gorbatschow der italienischen Zeitung La Repubblica (Montagausgabe). Er lobte Politkowskaja als eine ernsthafte und sehr mutige Journalistin.
Politkowskaja war am Samstag in ihrem Moskauer Wohnhaus erschossen worden. Mit ihrer regierungskritischen und mutigen Berichterstattung vor allem über den Tschetschenien-Krieg hatte sich die 48-jährige Journalistin weltweit einen Namen gemacht. Die Tote soll am Dienstag in Moskau beerdigt werden.
Die Polizei veröffentlichte Bilder aus einer Überwachungskamera, die den Hauptverdächtigen zeigten, einen Mann in dunkler Kleidung und mit einer schwarzen Baseball-Kappe auf dem Kopf. Die Polizei ging von einem Auftragsmord aus, da Politkowskaja schon in der Vergangenheit Drohungen erhalten hatte. 2001 suchte Politkowskaja deswegen auch für mehrere Monate Zuflucht in Wien.
Als möglichen Auftraggeber des Mordes an Politkowskaja nannte die Nowaja Gazeta den moskautreuen tschetschenischen Regierungschef Ramsan Kadyrow. Sie hat sehr viel über ihn geschrieben und gesagt. Allerdings sei es auch möglich, dass der Verdacht speziell auf Kadyrow gelenkt werden solle, um ihn daran zu hindern, Präsident der Teilrepublik im Nordkaukasus zu werden.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel will den Mord an Anna Politkowskaja bei ihrem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin am (morgigen) Dienstag in Dresden auch thematisieren. Die Kanzlerin habe bereits deutlich gemacht, dass die Entwicklung der Meinungs- und Pressefreiheit für jedes Land ein überragendes Gut sei, und werde dies in diesem Sinne auch bei ihrem Gespräch mit Putin ansprechen, sagte Regierungssprecher Ulrich Wilhelm am Montag in Berlin.
Außenministerin Plassnik zeigte sich entsetzt und betroffen. Dies ist ein verabscheuungswürdiges Verbrechen. Ich erwarte mir eine rasche und vollständige Aufklärung des Mordes durch die russischen Behörden, betonte sie am Montag. In einem demokratischen Rechtsstaat dürfen unabhängige und kritische Journalisten nicht eingeschüchtert oder mundtot gemacht werden. Im Gegenteil, so Plassnik, die russische Politik und Gesellschaft müssen sich gerade jetzt für einen effektiven Schutz von kritischen Journalisten und Menschenrechtsverteidigern einsetzen. Ohne eine freie und kritische Medienberichterstattung kann ein demokratisches Wertesystem nicht bestehen.
Ähnliche Worte fand auch die EU-Kommission am Montag: Dieses abscheuliche Verbrechen muss vollständig untersucht und die Täter müssen zur Verantwortung gezogen werden, sagte Kommissionssprecher Johannes Laitenberger am Montag in Brüssel.
Die Journalisten-Organisation Reporter ohne Grenzen forderte am Montag eine internationale Untersuchungskommission im Mordfall Politkowskaja. Denn es ist undenkbar für uns, dass die russische Polizei und Justiz diesen Fall alleine behandeln, erklärte die Organisation in einer Aussendung und rief für Montagabend zu einer Protestaktion vor der russischen Botschaft in Paris auf. Auch die Schriftstellervereinigung PEN und das Präsidium des Pressclubs Concordia in Wien verurteilten den Mord an Politkowskaja aufs Schärfste und forderten die rasche und lückenlose Aufklärung des Verbrechens.
Rund 500 Menschen hatten am Sonntag in Moskau gegen die Ermordung und das Vorgehen der russischen Behörden gegen Georgier im Land protestiert. In der finnischen Hauptstadt Helsinki hatten sich am Sonntagabend über 1.000 Menschen zu einer stillen Trauerkundgebung vor der russischen Botschaft versammelt. Zahlreiche Kundgebungsteilnehmer zündeten Kerzen an und legten Blumen vor dem Botschaftsgebäude nieder. Die Polizei musste wegen des starken Andrangs vor dem Botschaftsgebäudes sowohl den Auto- als auch Straßenverkehr umleiten.